Auch Gunne hatte sich in einer nächtlichen Aktion sein gammeliges Haupthaar der Bartfarbe gleichgemacht, und so fuhren wir frohgemut in die Medina. Vor dem einer Kloake ähnelnden Eingangstor verweigerte sich allerdings unser Lieblingsbus, er wollte lieber auf dem wohlvertrauten Campingplatz in lauschiger Zweisamkeit mit dem anderen Berliner Bus bleiben. So wanderten wir in einem dreistündigen Fußmarsch unter Sahara-Temperaturen in die Medina. Kurz davor mussten wir die obligatorischen „kleinen Führer“ abwimmeln, wobei uns ein deutsch sprechender Marokkaner behilflich war, der verständnisvoll meinte: „Deutsche lieben keine kleinen Führer“. Nachdem er auf diese Weise rasch alle abgedrängelt hatte, führte er uns auf dem schnellsten Wege in die Geschäfte, von denen er Provision bekam. Obwohl wir eigentlich gar nichts kaufen wollten, erschienen die Jungen kurze Zeit später, fast zusammenbrechend unter Hosen, Tüchern usw. bei den Mädchen, die in einer lauschigen Ecke durch die Gegend pinselten. Einige Bewunderer dieser Kunst boten gleich tausend gammelige Kamele, worauf a ihnen bedeutete, in Deutschland hätten wir unsere Männer für ein paar Farbfernseher erworben, dagegen wären die Kamele gar nichts. So zogen wir unter glühender Hitze durch die Medina, vollauf damit beschäftigt, lauter kleine Jungens abzuwimmeln, so dass wir uns schließlich total erschöpft von dieser Schwerstarbeit in einem Café am Djemaa el Fua niederließen, begierig auf die angeblichen Attraktionen, die hier jeden Abend laufen sollten.
Vorläufig schien es allerdings nur eine großer Parkplatz zu sein mit dem üblichen Treiben, verschleierte Frauen auf Mofas, glatzköpfige Männer mit dreckigen gelben Latschen, ab und zu dicke Touristenbäuche, umschwärmt von kleinen Jungen. Wir freuten uns, ungestört unser kleines Menü genießen zu können. Allmählich sammelten sich Kreise von Jung und Alt um die Schlangenbeschwörer, Märchenerzähler, Zigarettenverkäufer – auch einzelne – und Schattenboxer.
Stefan fährt fort: Wesentlich mehr Interesse fand noch eine Prügelei zwischen einem kleinen Jungen und einem jungen Mann, die hier gratis und live stattfand. Den absoluten Höhepunkt des Abend allerdings stifteten a und Agi, die nun ihre eigene Show aufmachten.
Sie hockten sich in die Mitte zwischen Schlangenbeschwörer und Boxkampf, breiteten ihre Habseligkeiten um sich aus um begannen, auf dem größten und traditionsreichsten marokkanischen Remmidemmi Kostproben ihrer Musikalität zu liefern. Während rundherum die Petroleumlampen angingen und Brüdi eine Limonade besorgte, sammelte sich eine dicke Menschentraube um die beiden, so dicht, dass das Zentrum nicht mehr auszumachen war, was natürlich noch mehr Leute anzog, und größer als die Menschenmengen, die mancher Märchenerzähler in seinen Bann zu schlagen vermochte.
Gunne, Robert und Stefan standen etwas abseits, tranken ratlos Limonade und rauchten Zigaretten, als aus der Menge ein irgendwie bekannter Araber auftauchte und uns warnte, wir sollten auf unsere beiden Mädchen aufpassen, die Menge würde sich bald auf sie stürzen. Das mochte doch nun keiner glauben! Die Menge dagegen, nach stattgehabten Auszügen aus dem Queen-Repertoire, dem „Student für Europa“-Liederbuch und donnerndem Finale mit dem Umberto-Tozzi-Hit „Ti amo“ kam zu dem Schluss, dass es sich wohl kaum Kunstgenüsse sein könnten, die dort angepriesen wurden, und testete mal kurz an, welcher Art die Genüsse denn nun tatsächlich sein. Die Mädchen wurden von den marokkanischen Materialtestern völlig überrascht und versuchten einen schlecht vorbereiteten Ausfall. Dieser misslang, und eine eine große Menschentraube zog über die „Versammlung der Toten“ (Djemaa el Fua) hinter den beiden Mädchen her, denn endlich konnte man sich auch von der Qualität der Teile überzeugen, auf denen sie zuvor gesessen hatten. Eine Rast unter Fittichen eines Verkehrspolizisten war von kurzer Dauer, da er sich nicht damit abfinden konnte, „seine“ Kreuzung von interessierten Fußgängern verstopft zu sehen. Inzwischen hatten die drei Jungen a und Agi eingeholt und zottelten mit ihnen in das Café von heute mittag, wobei nicht genau zu sehen war, ob der Tross nun an- oder abschwoll. Ins Café hinein trauten sich nur drei Marokkaner, darunter derjenige, der uns gewarnt hatte. Die beiden anderen waren Neger und der Meinung, dass Jungen, die mit solchen Mädchen herumziehen, bestimmt leicht zu bescheißen seien, und „versuchten das auch gleich mal“ mit Gunnes Sonnenbrille. Nach einigen anderen Späßen vom gleichen Kaliber verließen wir auch wieder das Café, ohne etwas getrunken oder gegessen zu haben. Wir kehrten durch die Altstadt zu unserem Campingplatz zurück, nach a es sich nicht hatte nehmen lassen, auf dem Djemaa el Fua durch eine Kiste mit stinkenden Socken zu latschen und sich damit nochmals zu exponieren, Kaum hatten wir die johlende und kneifende Meute hinter uns gelassen, fanden a und Agi auch schon wieder zu ihrer guten Laune zurück, besonders als Gunne aus einem lauschigen Katastrophenbuch für Tropenreisende vorlas (Kostprobe: Geparkte Wagen werden immer aufgebrochen).