Auf dem Rückweg zu unserem Hotel am Rande von Herat entdecke ich in einer Seitenstraße noch einen Laden, der mein Interesse weckt.
Ein alter Mann mit voluminösem Turban hockt auf einem Kissen und nickt uns freundlich zu, als wir eintreten. Sein Laden ist klein, aber die bis unter die niedrige Decke reichenden Regale sind vollgestopft mit einem Sammelsurium alter oder zumindest alt aussehender Gegenstände, die nur eines gemeinsam haben – jedes Stück ist einzigartig. Entweder es befinden sich weitere Schalen, Tabletts und Döschen aus Holz und Metall, Schnitzereien, Kännchen, Dolche und Schmuckstücke in einem verborgenen Lager, oder aber die Waren des alten Herrn stammen tatsächlich aus Werkstätten, in denen man von Serien- oder gar Massenproduktion noch nie etwas gehört hat…
Ich nehme einen leicht schief stehenden, dickwandigen Kelch aus türkisgrünem Glas in die Hand.
Er sieht aus, als wäre er auf die gleiche Weise hergestellt worden wie jenes antike Glas, das schon vor Jahrtausenden in diesem Teil der Welt produziert wurde. Es ist milchig, gesprenkelt mit kleinen Bläschen und Partikeln; die Oberfläche ist uneben, aber glatt und kühl.
„Den Pokal hat wahrscheinlich einer von Noahs Söhnen gemacht, kurz nachdem sie auf dem Berg aus der Arche geklettert sind,” mutmaßt Inge.
„Tja – oder dessen Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel, der immer noch nach demselben Verfahren Glas bläst wie seine Vorfahren…” spinne ich die Geschichte weiter.
Ich erkundige mich in Zeichensprache bei dem lächelnden alten Herrn nach seinen den Glaskelch betreffenden Preisvorstellungen.
Er zeigt daraufhin so oft seine zehn Finger, dass ich mit dem Zählen gar nicht mehr hinterher komme. Als ich die Brauen runzele, mit den Augen rolle und den Schultern zucke, winkt er mir zu, ich möge ihm folgen.
In einem von einem Wandbehang halb verborgenen Winkel des Ladens bearbeitet er sodann eine uralte, reich verzierte Registrierkasse mit Handkurbel (die laut Firmenschild aus Dayton, Ohio stammt), nach der sich jeder Kuriositäten-Sammler alle zehn Finger lecken würde. Ich frage mich, auf welchen verschlungenen Wegen dieses Prachtstück wohl in den Westen Afghanistans gekommen ist… Das grüne Glas, teilt der Ladeninhaber mir mithilfe der Kasse mit, soll tausend Afghanis kosten, also mehr als zwanzig US-Dollar. Ein Vermögen!
Und für einen mit Onyx und Quarzsteinen besetzten Halsschmuck, den Inge aus einer großen Holzschale gefischt hat, verlangt er fast genauso viel.
Bei solchen Startpreisen vergeht uns jede Lust zu feilschen.
Also lächeln wir nur höflich und verlassen den Laden.
„Der hält seine Klitsche wohl für Herats „Tiffany”…” sage ich kopfschüttelnd.
Inge nickt: „Bei dem Preis müsste das Glas wirklich von Noah persönlich angefertigt worden sein!”
Beim gemeinsamen Abendessen neben dem Bus klagen Rosi und Agnes über das doch recht beschränkte hiesige Angebot an Sehenswürdigkeiten – wie auch an original afghanischen „Souvenirs”.
Inge und ich berichteten daraufhin von dem kleinen Laden mit seiner großen Auswahl an originellem, allerdings auch ziemlich teurem Kunsthandwerk und erfahren von Rolf, dass die Glasbläserei in Herat eine lange Tradition hat.
„Vielleicht ist euer Glas wirklich uralt und wurde irgendwo hier in der Gegend von Ziegenhirten ausgebuddelt, die es dem alten Händler verkauft haben,” meint er, „dann wären 20 Dollar nicht teuer, sondern praktisch geschenkt… Das Problem ist nur, dass das von uns niemand beurteilen kann. Und ich bin sicher, die Glasbläser hier haben gelernt, ihre Produkte ‘auf alt zu trimmen’, denn viele Touristen, vor allem die amerikanischen, zahlen Wahnsinnspreise für jeden Schrott, wenn er nur angeblich ‘antik’ ist!”
Rolf schlägt Rosi und Agnes vor, sie sollten sich doch bei einem afghanischen Schuster ein paar Stiefel anfertigen lassen.
„Sie sind spottbillig, aber wenn man sie erst einmal eingelatscht hat, gibt es nichts besseres. Und sie halten ewig…” versichert er und deutet auf seine Stiefeletten aus gelblichen Leder.
„Die hier habe ich mir vor drei Jahren machen lassen, trage sie fast ununterbrochen, und die Nähte, Sohlen und Absätze sind noch wie neu.”
„Aber wir sind doch nur noch vier Tage hier,” gibt Agnes zu bedenken.
Unser Fahrer hat nämlich gerade erklärt, dass wir am 6. September in aller Frühe aufbrechen werden und dass er hofft, nach zwei Tagen Fahrt auf der Hauptverkehrsader „ring road” – mit einem Übernachtungsstop in Kandahar – die Hauptstadt Kabul zu erreichen.
„Das macht nichts. Für so ein Paar maßgeschneiderte Stiefel brauchen die hiesigen Schuster nur zwei oder höchstens drei Tage,” versichert Rolf.
Während Rosi und Agnes trotzdem finden, dass Stiefel keine richtigen Souvenirs sind, überlege ich laut, ob die noch in meinen Koffer passen würden.
„In Indien oder Nepal sind solche Latschen bestimmt viel besser geeigneter als Stiefel,” meint Anna mit Blick auf die griechischen Ledersandalen an meinen nackten Füßen, „aber wenn du irgendwann Ende November nach Deutschland zurückkommst, kriegst du in Mokassins oder Flipflops ganz schön kalte Füße!”
„Hm, ja, und was anderes habe ich leider nicht eingepackt… An der ‘Shar-I-Nau’ gibt es mehrere Schusterläden, ich denke, da werd’ ich mich morgen mal nach Preisen erkundigen.”