Ein großer Teil dieser Webseite besteht aus dem taz-Blog von Paula Z. (die ganz anders heißt, wie ich inzwischen weiß) über ihre Reise von Norddeutschland nach Nepal über Land mit einer Hippietruppe in einem Mercedes-Transporter D608 im Jahr 1977.
Hippietruppe meine ich ganz respektvoll, auch wenn es vielleicht nicht genau trifft.
Es ist viele Jahre her, dass ich diesen Reisebericht zum ersten Mal gelesen habe und nicht aufhören konnte, bis er — irgendwie — endet. Es ist eine der Geschichten, bei denen man immer mehr wissen will und eigentlich gar nicht möchte, dass es zu Ende geht.
Die taz hat ihre Blogseite irgendwann umgestellt und die alten Blogs dabei entsorgt. Darüber war ich sehr traurig und fand, die taz könnte mit ihren Inhalten verantwortungsbewusster umgehen, aber sei’s drum, es war ja geschehen. Zum Glück hatte ich vorher einen Abzug von Paulas Reisebericht gemacht und habe das in meinen WordPress-Blog (diesen hier) übernommen.
Wiederum viele Jahre danach schrieb mir zu meiner grenzenlosen Überraschung die Autorin des Reiseberichts und lüftete ihr Pseudonym. Wir tauschten einige E‑Mails aus. Dann entdeckte Eva, wie Paula eigentlich heißt, dass ein Kapitel mittendrin fehlt und schickte mir die fehlenden Bilder und den Text. Jetzt ist diese Lücke geschlossen.
Eine typische Orienttour sah in den 70er Jahren so aus: Laden in Grenznähe (damals galten in der Schweiz noch 28 Tonnen Gesamtgewicht) oder Abholen der Ladung im europäischen Raum. Eröffnung der TIR-Dokumente beim Schweizer Zoll. Dann über die Grenze und los. Entweder über Italien oder via Österreich nach Zagreb und dann den Autoput hinunter über Belgrad nach Niš. Von dort über Bulgarien oder Thessaloniki nach Istanbul. Dort machte wohl jeder einen Halt im Londra Camp. Das war vor allem ein großer Parkplatz mit einem Restaurant, Telex und Telefon. Und weiter unten befand sich das Westberlin für die lauen Abendstunden. Später dann über den Bolu-Pass nach Ankara. Dort verzweigten sich die Wege. Geradeaus nach Teheran oder nach Süden bis Adana. Von dort runter nach Syrien und durch Jordanien in den Westen Saudi-Arabiens. Oder von Adana auf einer endlos langen Schotterpiste durch die Südosttürkei und hinein in den Irak. Von Bagdad vielleicht weiter nach Basra und Kuwait oder sogar noch weiter bis in den Osten von Saudi-Arabien. Nur äußerst selten gab es Transporte nach Afghanistan, Pakistan und in die Emirate. Eine typische Tour dauerte 3 Wochen. Schweiz – Teheran und zurück waren 10.000 km und die lange Tour nach Saudi-Arabien konnte bis 16.000 km ausmachen. Der jugoslawische Autoput bestand aus Betonelementen, sodass der Lastwagen alle 50 Meter wie bei der Eisenbahn nickte. Dieses eintönige und einschläfernde Geräusch mag einer der Gründe für die vielen Unfälle entlang des Autoputs gewesen sein. Die Straße bis Ankara war von fußtiefen Schlaglöchern abgesehen tolerabel. Doch dahinter war nur noch eine endlose Wellblechpiste bis zur Grenze zum Iran. Zwischen Ankara und Adana führte eine mickrige Straße über den Taurus-Pass, in dessen tiefen Schluchten und engen Kurven viele Unfälle geschahen. Im Iran, Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien waren die Straßen tadellos. Dies verlockte zu hohen Geschwindigkeiten, die oft in Konflikt mit querenden Kamelen und Eseln kamen. Doch noch bis in die 80er Jahre war die direkte Route von Jordanien nach Riad eine einfache Sandpiste durch die Wüste entlang einer Pipeline. Von diesem Streckenabschnitt stammt wohl auch der damals häufig gebrauchte Begriff: ‚in den Sand hinunter fahren’, was bedeutete, eine Orienttour machen. Probleme gab’s natürlich an den Zollübergängen, die oft so verstopft waren, dass der Grenzübertritt einen bis mehrere Tage dauern konnte. Besonders die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei und jene zwischen der Türkei und dem Iran waren sehr oft üble Nadelöhre. Während des Schah-Sturzes und der Machtübernahme durch Khomeini (Ende 1978 und Beginn 1979) blieben rund 1000 Lastwagen zwischen der Türkei und dem Zollamt Bazargan (Iran) hängen, weil die Revolte gegen den Schah zu Streik und Aufruhr führte. Einzelne Fernfahrer harrten von November 78 bis Februar 79 in diesem unwirtlichen und bitterkalten Niemandsland aus. Am Bestimmungsort musste die Fracht verzollt werden, was zeitaufreibend war und oft nicht ohne selbsternannte Deklareure vonstatten ging. Besonders in Teheran war es üblich, bis zu einer Woche auf die Verzollung zu warten. In Bagdad mussten die Lastwagen rund 40 Kilometer westlich der Stadt quasi in der Wüste auf Verzollung und Entladen warten. Einzige Abwechslung war ein seichter Stausee 20 km westlich dieser Truckerstadt. Zurück fuhren die Lastwagen so gut wie immer in Leerfahrt. Die Tanks wurden besonders in Saudi-Arabien natürlich vollgetankt, viele Fahrzeuge hatten Dieseltanks von 1500 Litern unter dem Anhänger oder Auflieger. Das gab beim Eintritt in die Türkei oft erhebliche Probleme, die durch Diskussion und Geld geregelt wurden. Die Rückfahrt ließ sich meistens in einer knappen Woche machen. Viele Fahrer luden den Anhänger auf den Zugwagen, andere planten ihr Fahrzeug ab, um weniger Luftwiderstand zu haben, etliche wiederum fuhren nach dem Entladen sogleich los. Nach einer Orienttour waren die Reparaturen an den Fahrzeugen oft erheblich. Auch bei vorsichtiger und defensiver Fahrt gingen immer mal wieder Teile kaputt. Die Reparatur vor Ort war oft nicht möglich. Es gab defekte Lastwagen, die von Kollegen von Teheran bis zurück in die Schweiz geschleppt wurden. Gefährlich waren die Orienttransporte eigentlich nicht. Trotzdem verloren sehr viele Kollegen ihr Leben durch Unfälle, ein paar wurden auch ausgeraubt und getötet. Das größte Verkehrshindernis waren die abends unbeleuchteten Traktoren in der Türkei, dann auch die Überholmanöver der türkischen Busfahrer und ihre urplötzlichen Stopps. Der Urlaubsverkehr auf dem Autoput führte auf jeder Tour zu dramatischen Situationen: typisch war der Türke im Gebrauchtwagen-Ford, innen vollgestopft mit Menschen und Material und auf dem Gepäckträger nochmals einen halben Haushalt. Ebenso waren gewiss auch Übermüdung und Stress der Fernfahrer Gründe für Unfälle. Westeuropäische Lastwagen hatten nur einen Fahrer, während die bulgarischen Lastwagen oft mit zwei Fahrern unterwegs waren. Sie fuhren stets ihre strikten 70 km/h, während die Westeuropäer ihren Pferden auf guten Straßen freien Lauf ließen. Daher wurden die Westeuropäer von der türkischen Polizei weit mehr kontrolliert als die Kollegen aus dem Osten, zudem wussten die Polizisten natürlich, dass der westeuropäische Fahrer mehr Geld und weniger Zeit hatte als der bulgarische. Normalerweise fuhr man die Tour bis Istanbul allein, traf dort Kollegen und schloss sich zu lockeren Konvois zusammen. Dies auch für die Rückfahrt. In der Osttürkei musste zeitweise – aufgrund der Kurdenaufstände – im Konvoi gefahren werden. Damaskus durfte nur nachts und im Konvoi durchquert werden. Besonders in der Osttürkei brachte das Übernachten auf Parkplätzen die Gefahr möglicher Diebstähle. Daher errichtete die bulgarische Staatstransportfirma ein paar umzäunte Camps namens Balkantransport, in denen der Lastwagen nachts etwas sicherer parkiert werden konnten. Die Restaurants der Bulgarencamps jedoch waren dürftig und ungeheizt. Opfer der Nahostfahrten waren auch ganz andere: nämlich die Ehefrauen und Freundinnen. Sehr, sehr viele Beziehungen gingen durch die langen Abwesenheiten der Chauffeure zu Brüche. Opfer der Lastwagen waren auch die anatolischen Dörfer, die fast ganztägig von Staubwolken umhüllt waren. Natürlich hat eine große Anzahl Leute von diesem Boom profitiert. Da waren die Zöllner und die Deklareure, die sich gern bezahlen ließen – ob zu Recht oder als Erpressung. Auch die Polizisten entlang der Route entdeckten bald eine gute Einnahmequelle, ebenso wie die Mädchen auf der leichteren Seite des Lebens. Unklar ist, was die Staaten mit den zum Teil horrenden Transitgebühren machten. Hat die Türkei damit ihr Straßennetz verbessert? Lastwagen aus fast ganz Europa fuhren damals (70er und 80er Jahre) zu den Destinationen im Nahen Osten, die meisten stammten wohl aus Deutschland, Österreich, Schweiz und Frankreich. Aber auch Italien und die Niederlande schickten große Lastwagenflotten. Die Konkurrenz stammte aus dem damaligen Ostblock: Bulgarien, Jugoslawien und Polen hatten riesige Staatstransportfirmen, die oftmals zu Dumpingpreisen fuhren. Erst zögerlich kamen auch türkische und iranische Spediteure bis ins Zentrum Europas, um Fracht zu holen. Ende der 70er Jahre gab es sogar ein afghanisches Transportunternehmen namens Afghan, das mit seinen rotblauen Lastwagen bis in die Schweiz fuhr. Mit dem Einmarsch der Russen in Afghanistan (1978) war diese Route dann blockiert. Hygiene war damals kein großes Thema. Duschen gab es nur an wenigen Orten und so hatten viele Trucker eigene Vorrichtungen gebastelt, um unter freiem Himmel ab und zu mal eine Dusche zu nehmen. Jeder hatte immer einen reichlichen Vorrat an Wasser mit dabei – für sich und für den Kühler. Ein wirklich brauchbares ‚Orient-Fahrerhaus’ kam nie auf den Markt. Daher richtete jeder seine Fahrerkabine nach eigenem Geschmack ein. Die meisten Orientlastwagen hatten eine Schlafkoje, oft auch einen Kühlschrank, aber kaum je eine Klimaanlage. In den großen Ölkrisenjahren Mitte der 70er Jahre fuhren sogar umgebaute Kipper mit kurzer Kabine in den Orient: Der Fahrer schlief irgendwie auf den beiden Sitzen. So ziemlich alle Fahrzeuge hatten eine Kochkiste unter dem Auflieger montiert: aufklappen und mit Campinggas eine Mahlzeit kochen. Sie bestand im Wesentlichen aus Konserven und Teigwaren. Unterwegs konnte man zwar Melonen und Früchte kaufen, auch Brot und Eier. Kaum jemand aber verköstigte sich unterwegs ausschließlich in den Restaurants. Trotzdem wurden ein paar Rastplätze sehr bekannt. So gab es die ‚abgesägten Bäume’ und die ‚versenkten Tische’ in Bulgarien, es gab den Lehrer in der Osttürkei, der in seinem ‚Restaurant’ nur Spiegeleier servierte. Alle alten Orientfahrer kennen das Londra Camp, den wohl wichtigsten Etappenort auf der Orientroute vor und nach der Eröffnung der Bosporusbrücke in Istanbul (1975). Gegen Ende der 80er Jahre war dieser Transportboom dann vorbei. Denn Schiffe brachten die Fracht erneut in den Nahen Osten, der Kaufrausch der Orientalen war abgeflacht und die westeuropäischen Transporteure waren schlicht zu teuer gegenüber der Konkurrenz aus der Türkei. Es mag ab 2000 noch ab und zu einen Transport in den Nahen Osten gegeben haben, ausgeführt von einem westeuropäischen Transporteur, aber den einstigen Orientverkehr gibt es nicht mehr.
Franz Stadelmann, Basel / Schweiz
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Der letzte Teil des Roadmovie ist jetzt raus und bei YouTube zu sehen. Er beginnt in Fes, Marokko. Von dort reisen wir wir weiter auf der route imperiale nach Marrakesch. Ab hier gibt es nicht mehr so viel Filmaufnahmen, dafür mehr Bilder von Gunne. Auf den Fotos fällt der Weichzeichner ins Auge, der über jedem Bild liegt. Die Erklärung: Auf dem Campingplatz in Fes wurden uns einige Sachen gestohlen, unter anderem ein großer Teil unserer Reisekasse und Gunnes Fotoapparat. Nachdem klar war, dass wir die Sachen nicht wiedersehen, besorgte sich Gunne Ersatz auf dem örtlichen Schwarzmarkt. Erst zu Hause bemerkten wir den poetischen Schmelz, der überraschenderweise über allen Aufnahmen lag — ein Fehler der Optik, vielleicht war sie auch matt geschliffen durch jahrelangen Kontakt mit dem Wüstensand.
Auch Marrakesch hatte für uns unterschiedliche Eindrücke parat. Wenn die Rückreise wie eine Flucht wirkt, dann ist das nicht ganz falsch, denn unser Bedarf an der Exotik des Maghreb war irgendwann gedeckt. Wir verließen Marokko auf dem dem direkten Weg nach Norden und legten noch ein paar Tage in Portugal an der Algarve ein, bevor die letzte große Etappe uns wieder nach Hause, nach Berlin brachte.
Als wir unsere Rundreise zuerst planten, sollte sie tatsächlich rund ums Mittelmeer gehen, also von der Türkei aus weiter über Syrien und den Nahen Osten, Ägypten, Libyen und Algerien weiter nach Marokko und schließlich wieder über Spanien und Frankreich nach Hause.
Leider war unser Plan mit den politischen Verhältnissen nicht vereinbar. Für einige Transitländer gab es keine Visa und Carnets und sicher waren sie zu der Zeit auch nicht. Um trotzdem nach Marokko zu kommen, fuhren wir von Istanbul zurück nach Griechenland und dann in einer zwei Tage langen Nonstop-Monstertour an der jugoslawischen Küste entlang und durch Oberitalien bis nach Südfrankreich. Von dort ging es in einigen kleineren Etappen weiter durch Spanien. In Algeceiras setzten wir dann über nach Ceuta und reisten nach Marokko ein.
Schon meine Eltern haben mich dem Reisefieber infiziert, als sie mich und meine Schwester Ariane sogar als kleine Kinder auf jede Reise mitnahmen. Wir lernten auf diese Weise Deutschland, Frankreich und die Schweiz kennen. Da wir in Westberlin lebten, flogen wir in den ersten Jahren vom Flughafen Tempelhof aus nach Hannover, um den Transit über die Interzonenautobahn zu vermeiden. Erst dort begann die Reise auf dem Landweg mit unserem Auto. Der Wagen, erst ein DKW 3=6, später ein elfenbeinfarbener DKWF12, stand vor dem Flughafen Hannover, überführt von einem Mann, den wir nie zu Gesicht bekamen. Es vergingen noch Jahre, bis wir von Berlin aus mit dem Auto los fuhren.
Von Hannover ging die Reise nach Süden. Ich erinnere mich, dass wir einmal in Augsburg übernachteten und die Fuggerei im Laternenlicht besichtigten. Die Ferien verbrachten wir zu Anfang oft in der französischen Schweiz. An Haute Nendaz und den Col de la Forclaz habe ich schöne Erinnerungen. In Genf wohnten wir zwei Jahre nacheinander in der Wohnung einer Bekannten meiner Eltern, Elisabeth Adler, die dort im Weltkirchenrat mitarbeitete. An Genf mit seiner Fontäne habe ich schöne Erinnerungen. In der Grünanlage am See verlieh ein Mann Tretautos. Mit so einem Auto fuhr ich die Parkwege entlang und fand das perfekt. Meine Eltern hatten inzwischen auf einer Bank Platz genommen und schauten mir hinterher. Wir gingen in die Badeanstalt am Genfer See und besuchten das Schloss Chillon. Zu Essen gab es kleine, in Fett gebackene Fische aus dem See.
In Pfäffikon am Zürcher See wohnen Walter und Elsbeth, ebenfalls Bekannte meiner Eltern aus kinderloser, glücklicher Zeit (obwohl ihr erstes Zusammentreffen mit einem Alkoholexzess und einem gebrochenen Arm meines Vaters zu tun hatte). Dort waren wir als Kinder mehrmals zu Gast. Walter arbeitete für die Jugendstiftung „Pro Juventute”. Dadurch konnten wir einen Sommer in einem großen, alten Bauernhaus im Obertoggenburg verbringen, das der Stiftung gehörte. Von dort gingen wir auf den Säntis und zum Baden an den Walensee. Mit meinem Vater war ich im Verkehrsmuseum in Luzern.
Ich finde Reisen herrlich und bin der festen Überzeugung, dass Reisen tatsächlich irgendwie bildet. Meine ersten Reisen ohne Eltern unternahm ich zusammen mit meinen Freunden Gunne und Robert. Robert studierte nicht nur die Kraftfahrzeuge an der TU Berlin, er hatte auch immer selbst eins (oder mehrere).