Mit meinem Freund und Studienkollegen Stefan hatte ich im Herbst 1988 eine tolle Motorradtour gemacht. An einem einzigen Wochenende waren wir mit der Fähre von Warnemünde nach Gedser (Dänemark) übergesetzt, hatten die Insel Mön besucht, hatten einen Stadtbummel in Kopenhagen gemacht und dort geschlafen. Am nächsten Tag zogen wir dann weiter nach Norden, nach Helsingør. Spät Abends hatten wir die Fähre Helsingborg genommen und bekamen durch einen glücklichen Zufall einen Wohnwagen auf einem Campingplatz als Nachtquartier.
Am nächsten Tag durchquerten wir Schweden von Helsingborg nach Südwesten Richtung Trelleborg, wo wir auf die Fähre nach Saßnitz auf Rügen fuhren. Abends kamen wir auf Rügen an und nahmen in Stralsund die Fernstraße 96 nach Berlin.
Noch in Stralsund trafen wir zwei Mädchen, die dringend zurück in ihre Internatsschule mussten. Die Schwalbe ihres Freundes war aber offenbar unter ihrem gemeinsamen Gewicht zusamengebrochen und wollte sich nicht weiterbewegen. Also packten Stefan und ich unsere Habseligkeiten um, so dass jeder einen zusätzlichen Sitzplatz anbieten konnte und wir ließen die Mädchen aufsitzen. Nach allem was wir wussten, war dies in höchsten Maß verboten und es gab keinen Zweifel, dass wir die Nacht, wenn nicht viel längere Zeit in der Obhut der Volkspolizei verbringen würden, wenn wir dabei erwischt würden.
Also machten wir uns mit den Mädchen zügig aus dem Staub und kamen wenige Minuten später vor ihrer Schule an, wo zum Glück niemand zu sehen war. Sie stiegen ab, hauchten uns einen Kuss auf die Wange und verschwanden im Dunkel. Soweit schien alles gut gegangen zu sein. Aus früheren Erlebnissen wusste ich aber, dass man am Ausgang bezahlt und es sehr gut passieren konnte, dass man uns erst an der Grenzkontrolle herausfischen und zu den Vorgängen befragen würde.
Die Fernverkehrsstraße 96 zieht sich hin, es war dunkel und kalt und die Sicht war nicht gut, wir passierten ein Dorf nach dem anderen. Alle lagen verlassen im orangen Licht der Straßenlampen, das Kleinpflaster der Straße glänzte, bestenfalls bellte uns mal ein Hund hinterher.
Die Autobahn erreichten wir erst am Berliner Ring. Am Abzweig Stolpe stand ein Lada der VP, unbeleuchtet. Vor lauter Übermut, endlich mal ein bisschen Gas zu geben zu können, brausten wir mit weit mehr als den erlaubten 100 Stundenkilometern an ihm vorbei — kein Lebenszeichen auf Seiten der Volkspolizei.
An der Grenzkontrolle wurden wir ohne großes Zeremoniell durchgewunken. Mir fiel ein großer Stein von Herzen, weil unsere Hilfsaktion in Stralsund keine schlimmen Folgen für uns gehabt hatte.
Inzwischen war es Montagmorgen, wir hatten beide am gleichen Tag einiges vor und trennten uns, um noch einige wenige Stunden Schlaf zu bekommen, bevor unsere Pflichten uns wieder an die Uni riefen.
In etwas mehr als zwei Tagen hatten wir viel gesehen und viel Spaß gehabt, wir sind viel gefahren und haben nette Leute getroffen, die uns halfen (mit dem Nachtquartier im Wohnwagen) und denen wir helfen konnten (den Mädchen mit der zusammengebrochenen Schwalbe). Ich war begeistert von der Ausbeute und fragte Stefan, ob wir nicht gemeinsam eine längere Reise mit dem Motorrad machen wollten.
Wir planten, im Sommer 1989 zum Nordkap zu fahren. Als es soweit war, stellte sich heraus, das es ein Problem mit Stefans Urlaub gab — er hatte keinen. Woran immer es lag, wir konnten nicht zusammen fahren.
Ersatz gab es nicht so schnell. So kam es, dass ich irgendwann im August 1989 ein paar Tage bei Freunden verbrachte, die in Hirtshals (Dänemark) Urlaub machten. Als sie abreisten, fuhr ich weiter nach Frederikshavn, was ganz in der Nähe liegt, und schiffte mich mit meinem Motorrad nach Oslo ein. Ich war nicht der einzige Motorradfahrer auf der Überfahrt, aber der einzige, der alleine unterwegs war.