Im Zusammenhang mit unserer Europarundfahrt 1978 hatte ich unter anderem auf Franz Stadelmann verwiesen, der mit seinem LKW die Orientroute befahren hat, auf der wir damals ebenfalls unterwegs waren, wenn auch nur bis Istanbul.

Seine Erlebnisse und vieles, was er in Gesprächen mit Fernfahrerkollegen auf dieser Route erfahren hat, hat er in seiner romanhaften Erzählung Dieselstraße verarbeitet, die jetzt wieder erhältlich ist.

Franz Stadelmann: «Dieselstrasse»,  Neuauflage, Basel 2008, ISBN 978-3-033-01816-7, zu beziehen im Buchhandel oder über die Website Orienttransport.ch

Franz Stadelmann, 1986 in Ankara
Franz Stadelmann, 1986 in Ankara

Zum Verständnis hilft es zu wissen, dass in den Siebzigern die ölfördernden Staaten des Nahen und Mittleren Ostens im großen Stil ihre Petrodollars in Europa ausgaben für Industrieanlagen, aber auch Annehmlichkeiten des persönlichen Bedarfs, von Waffen ganz zu schweigen. Diese wurden aus den europäischen Herkunftsländern teils per Schiff, während der Siebziger aber vor allem per LKW angeliefert, obwohl jede Tour für Material und Fahrer eine enorme Strapaze darstellte.

In diese Welt der Lastwagenfahrer führt uns das Buch ein. Peter Walter fährt Maschinenteile aus der Schweiz nach Teheran. Christine, eine junge Studentin, begleitet ihn auf Vermittlung ihres Vaters auf seiner Tour, vordergründig für eine Materialsammlung für ihre wissenschaftliche Arbeit. Neugier und Unzufriedenheit in ihrer eingefahrenen Beziehung spielen auch eine Rolle.

Nicht ganz überraschend läuft die erste Kontaktaufnahme zwischen dem alleine fahrenden, geschiedenen und als Unternehmer gescheiterten Fernfahrer und der reflektierten, kühlen Studentin der Sozialwissenschaften etwas holprig ab. Aber sie haben während der Fahrt genug Zeit um sich kennenzulernen. Christine akzeptiert, dass im herausfordernden Zeitplan einer 10.000 km-Tour ihre persönlichen Bedürfnisse wenig Platz haben und findet Gefallen an der minimalistischen Unterhaltung mit Peter. Peter nimmt sie auf in den Mikrokosmos seines Scania-Lastwagens, sie teilen die kleinen Annehmlichkeiten, mit denen Peter sich seine langen, einsamen Touren erträglich gemacht hat.

Während Kilometer um Kilometer auf Schotterpisten vorbeiziehen, öffnet er sich und erzählt mehr von sich und von den Freuden und Risiken der langen Fahrt. Bei den wenigen längeren Stopps treffen sie auf andere Fernfahrer, meist Bekannte von Peter, der nur die Marke ihres LKW benutzt, wenn er über sie spricht. "Nö, der Fiat ist schon weg". Die meisten Protagonisten sind irgendwie traumatisiert und geheimnisvoll, und man fragt sich, ob der Job ihnen das angetan hat oder ob es eine Voraussetzung war.

Mir hat die genaue Beschreibung der langen Tour viel Spaß gemacht. Der allwissende Erzähler steht in keiner Weise über den Dingen und hat einen richtigen Hass, wenn an der Grenzkontrolle jemand vordrängelt, der keine Tiere transportiert. Der Hass ist nicht reflektiert und moralisch, er sucht nach keine Lösung oder Versöhnung. Er resigniert auch ein Stück weit vor einer Welt, deren Sprache er nicht versteht und deren Regeln fragwürdig sind.

Für Christine verändert die Reise vieles.

Faszinierende Impressionen aus einer Welt, die es so heute nicht mehr gibt.

Interview mit Franz Stadelmann auf bluewin.ch

Um sein Studium an der Universität Basel zu finanzieren, wählte der aus dem Kanton Luzern stammende Franz Stadelmann einen ganz speziellen Weg: Er fuhr Lastwagentransporte in dem Mittleren Osten. Das war damals, Anfang der 1980-er Jahre, eine harte und nicht ungefährliche Arbeit. Der Weg nach Teheran und wieder zurück dauerte, beispielsweise, über drei Wochen - und der Fahrer war dabei meistens allein und ganz auf sich gestellt.

Dennoch übte die Fahrt auf der «Dieselstrasse» eine große Faszination auf Stadelmann aus - so groß, dass er seine Erlebnisse in einem Roman festhielt. Und 2009, 30 Jahre nach seinen ersten Fahrten in den Orient, machte er mit Kollegen die Reise noch einmal, um dabei alte Erinnerungen wieder aufleben zu lassen.

Franz Stadelmann befuhr alle damals wichtigen Destinationen: Saudi-Arabien, Kuwait, Irak und Iran. Er war auch im Libanon und in Libyen.

Der Fernfahrer, Ethnologe und Buchautor hat für uns in sein Archiv gegriffen und eine Handvoll Fotos hervorgeholt, die er auf seinen Orientfahrten selbst aufgenommen hat. Außerdem hat er unsere Fragen beantwortet:

Herr Stadelman: Wie kam es, dass Sie gerade diese Arbeit gewählt haben, um in den Semesterferien Geld zu verdienen?

Ich wuchs in einem Transportunternehmen auf und machte gleich mit 18 den Führerschein. Mit 20 begann ich das Studium der Ethnologie an der Universität Basel und musste mich selber finanzieren. Die Arbeit als Fernfahrer in den Nahen Osten war für mich Abenteuer, Reisen und Geldverdienen in einem. Diese Aufgabe war für mich auch die eigentliche Schule des Lebens. Natürlich interessierte ich mich auch für Lastwagen und Logistik. Später ging ich in die Entwicklungshilfe nach Afrika und gründete dann in Madagaskar eine Reiseorganisation. Irgendwie bin ich dem Thema treu geblieben.

Im Iran brach 1979 die islamische Revolution aus. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich war im Iran, dem damaligen Persien, noch zu Zeiten des Shahs, dann 1979  während des Umsturzes und wiederholt auch später. Der Shah war sicher ein fähiger Herrscher auf gutem Weg. Aber er wollte wohl zu schnell zu viel erreichen und hat sich dann etwas verloren. Was danach kam, war nicht für alle eine Befreiung.  Natürlich haben sich auch internationale Mächte eingemischt. Der Iran ist heute  eines der sichersten Reiseländer der Welt, aber politisch in die Ecke gedrängt. Es ist  bedauerlich, dass dieses herrliche Land sich selber so im Weg steht und auch von  außen her so blockiert wird.

Welche Güter wurden damals auf diesem Weg in den Mittleren Osten transportiert?

Transportiert wurde buchstäblich alles, also von Zement zu Möbeln, von Medikamenten bis Maschinen. Die Ölländer waren ja in den frühen 1970er Jahren  auf einen Schlag unermesslich reich geworden und hatten schnell auch unermesslich  große Pläne. Es entstanden ganze Städte quasi aus dem Nichts und so gut wie alle  Materialien kamen mit Lastwagen aus Europa, denn die Häfen waren auf Monate  hinaus verstopft. Eine Tour in den Nahen Osten - ob nach Teheran, Bagdad oder  Riad - dauerte im Schnitt drei Wochen: mit knapp 30 Tonnen hin und dann leer  zurück.

Haben Sie auch brenzlige Situationen erlebt, bei denen Sie sich nachher den Schweiß von der Stirn wischen mussten?

Als Fernfahrer auf der Orientroute war man allein unterwegs und musste für alles sorgen: fahren, reparieren, Probleme mit Polizei und Zoll lösen. Aber richtig brenzlig  waren die Fastunfälle, die sich manchmal ereigneten. Einen richtigen Unfall hatte  ich zum Glück nie. Aber die orientalische Fahrweise, plötzlich einschwenkende  Fahrzeuge, riskante Überholmanöver waren manchmal sehr gefährlich. Richtig Angst machte mir auch, als ein Autofahrer in Syrien auf mich schoss.

Wie war die Fahrt knapp 30 Jahre später? Was hat sich für die Fahrer zum Guten, was allenfalls zum Schlechten verändert?

1986 machte ich den letzten Orienttransport und letzthin machte ich die Fahrt  nach Teheran erneut. Jetzt fährt man auf guten Asphaltstrassen und zum Teil auf  Autobahnen dort, wo damals üble Schotterpisten waren. Für Lastwagenfahrer hat  sich das Arbeitsumfeld drastisch geändert. Damals war der Zusammenhalt zwischen  Kollegen sehr groß und auf der Orientroute war ein Tag mehr oder weniger kein  Problem. Heute rennt jeder Lastwagenfahrer im Minutentakt gegen die Zeit an.  Damals gab es kein Handy, kein GPS, keinen elektronischen Tachometer, keine  Kreditkarte, kein Internet. Heute wird ein Fahrer rund um die Uhr kontrolliert und  interessante Fernfahrten gibt es nicht mehr – zumindest für Schweizer Fahrzeuge. 

Wie erklären Sie sich, dass Ihr Roman noch heute interessierte Leser findet?

Die Zeit der Nahosttransporte war in den 70er Jahren bis Mitte der 80er Jahre. Die  damaligen Fahrer sind nun in der Rentnerzone und viele beschäftigen sich mit ihrem  Leben und kommen dabei auf den Roman «Dieselstrasse», der ja das erste Buch war,  das diese einmalige Phase des Transportwesens beschrieb. Aber auch junge Fahrer  interessieren sich für diese Fernfahrten, weil damals die Lastwagenfahrer noch die  Könige der Landstraße waren. Ich werde auch regelmäßig von Berufsschulen  und Berufsverbänden angefragt, um den Lastwagenlehrlingen aus dieser Zeit zu  erzählen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert