Stefan erzählt:
Früh um sechs Uhr werden wir durch aufgeregtes Getrappel aus dem Schlaf gerissen, zwischen Zelten und VW-Bussen herrschte Hektik.
Ein Deutscher hatte einen Dieb auf frischer Tat ertappt und uns alarmiert. Robert war als erster auf den Beinen gewesen, den Dieb freilich hatte er nicht mehr zu Gesicht bekommen. Bei der Flucht über die Campingplatz-Mauer hatte er jedoch seine Brieftasche – erleichtert um erhebliche Bargeldbestände – und ein Lager von vier noch nicht geplünderten Reisetaschen gefunden. Der Dieb hatten den vorderen Teil des VW-Busses ausgeräumt und Agis Tasche mitgenommen, die vor dem Zelt lag. Auf der Verlustliste stand also auch unsere Benzinkasse, Agis Personalausweis und Gunnes Kamera.
Wenig später trafen auch andere Geschädigte bei bei uns ein. Ein Trupp Italiener zum Beispiel, denen ca. 400 US$, die Fährtickets nach Italien sowie sämtliche Papiere abhanden gekommen waren. Von uns war wohl Robert am härtesten betroffen.
Die beiden marokkanischen Wachsoldaten des Campingplatzes, die wir von dem Vorfall informierten, zeigten sich relativ ungerührt und rieten uns, Anzeige zu erstatten. Unabhängig davon nahmen Gunne und zwei der Italiener Kontakt zu den „kleinen Führern“ auf, die sich auch zuversichtlich zeigten, Sachwerte und Papiere wiederzubeschaffen – gegen angemessene Vorauszahlung natürlich nur.
Später gingen Stefan, Agi und Gunne in die Neustadt einkaufen. In der malerischen städtischen Markthalle kauften wir Lebensmittel ein, und auf der Straße erstand Gunne nach angemessenem Feilschen eine Wolldecke mit Berber-Muster. Die Anzeige bei der Polizei hätte sich in Deutschland auch nicht bürokratischer gestalten können: Vom zentralen Kommissariat wurden wir zum zweiten Arondissement geschickt, wo die beiden Italiener schon auf uns warteten.
Sie hatten einen wesentlich längeren Irrweg hinter sich. Nach einigem Warten erbarmte sich ein mit Französich-Kenntnissen ausgestatteter Polizei-Offizier und nahm Gunnes Anzeige auf, während Stefan mit dem Langenscheidt-Wörterbuch dolmetschte. Das Dokument in mindestens zehnfacher Ausfertigung wurde feierlich unterzeichnet, dann zogen wir in Richtung Campingplatz in dem Bewusstsein, zumindest die Formalitäten erledigt zu haben. Über den Erfolg unserer Anzeige machte sich wohl keiner Illusionen. In einem Café machten wir bei Cola und Bier eine Pause, um den Ramadan zu entheiligen und ließen auch ein Zigarettchen nicht aus. Der Nachmittag war der Erholung im Swimmingpool gewidmet. Gunne baute indessen seine Kontakte zur Hehlerszene aus und lernte einen gewissen Hamid kennen, der versprach, ihn mit einem Hassan zusammen zu bringen, der an diesem Tage jedoch geschäftlich in Tanger war. Jedenfalls kam Gunne so zu einer kostenlosen Altstadtführung.
Zum Abendessen gab es das gleiche wie am Vortage, jedoch mit Auberginen verfeinert. Das Mahl fand dösigen Beifall. Gunne und Robert führten zum Nachtisch ein Pfeifchen zum Munde, das jedoch ohne sichtbaren Erfolg blieb. Wir blödelten noch eine Weile herum und gingen dann schlafen.
Agi berichtet:
Am Morgen war sogar das Schwimmbecken leer, es wurde gerade von irgendwelchen gammeligen Wärtern gesäubert. Um alle Leute endgültig vom Campingplatz zu vertreiben, wurde das frische Wasser nur tröpfchenweise eingelassen, so dass die Füllung des Beckens überschlagsweise eine Woche in Anspruch nehmen würde. Aber man fügte sich darein und verbrachte einen weiteren Tag auf dem Campingplatz mit Urlaubsbeschäftigungen (Langeweile). Am Abend rappelten wir uns dann doch noch auf zu einem Medina-Spaziergang, darauf spekulierend, dass es dort doch immer ganz lustig sei. Gleich zu Anfang kam Gunne voll auf seine Kosten: Ein „kleiner Führer“ aulte ihm aufs spärliche Haar, so dass Gunne wie ein Teufel mit Schlabber und PLO-Tuch ihn verfolgte, leider vergeblich. Kurze Zeit darauf versicherte uns aber ein Parkwächter mit einem breiten Lächeln, dass der Kleine genügend bestraft worden sei. Anscheinend waren uns die Medina-Leute uns heute wirklich nicht wohl gesonnen: In einer dunklen Gasse wagte es ein kleiner Marokkaner, a in den Po zu kneifen; Allahs fürchterliche Rache ließ allerdings wieder nicht lange auf sich warten: auf der Flucht rannte er voll in Agis Bauch, die ihn tüchtig beutelte.
Auf der gammeligen Brücke über den absolut stinkendsten Fluss der Welt warteten wir auf das Ende Ramadan-Tages, da wir unsere Zigarettchen – immer höflich den Landessitten angepasst – erst nach Sonnenuntergang rauchen wollten. Inzwischen gesellten sich zu uns auch Massen von Marokkanern, die das Ende des Ramadan herbeisehnten, immer abwechselnd den Muezzin und das Minarett verfluchend, zu uns, wohl auf unseren Zigaretten-Vorrat spekulierend. Um uns etwas beliebter zu machen, spendierten wir Punkt Ramadan-Ende zur allgemeinen Freude eine ganze Packung. Während wir zum Auto zurückwanderten, war die Medina wie leergefegt, alle kleinen Führer und Teppich-Verkäufer stürzten sich heißhungrig über ihre Suppen.
Zu Hause manschten wir etwas Rührei mit Brot, eine absolut sättigende Mahlzeit.
Von diesem Erfolg ermutigt, beschloss Gunne, sich die Haare zu färben, Henna hatten wir schon gekauft. Nachdem er, von allen ermuntert, seine ganze gammelige Zivilcourage zusammengenommen und sich das stinkende Zeug auf den Kopf geschmiert hatte, fühlte sich auch Robert animiert – obwohl er beim Anblick des Zeugs nur an Scheiße erinnert wurde – und wagte den entscheidenden Schritt.
Inzwischen war man doch angemüdet und verzog sich in die muffigen Schlafsäcke. Nur Gunne und Robert harrten tapfer mit dem feuchten Henna im Haar aus.