Endlich können meine Schwester und ich die futuristischen roten Schlafsäcke aus irgendeinem vollsynthetischen High-Tech-Material genießen, denn die Nächte werden jetzt selbst in Südfrankreich schon herbstlich kühl, der Oktober steht vor der Tür.
Das Motorgeräusch vom Bus darf man sich von draußen gar nicht anhören, alles quietscht, zischt, zwitschert und spotzt. Entsprechend ist die von ursprünglich 55 PS übriggebliebene Leistung. Ein bisschen Angst hat wohl jeder, das brave Gefährt könnte auf der letzten Etappe noch schlappmachen. Zu Hause erklärt Robert ein paar Tage später, der Wagen wäre wie neu, nachdem er die Ventile eingestellt hätte. Mit einem anderen Besitzer ist der Bus später noch einmal auf große Tour gegangen, Richtung Fernost. Unglücklicherweise hat er dann aber seine Tage zerlegt in Einzelteilen auf einem türkischen Zollhof beendet, weil auf der Rückfahrt Drogen darin entdeckt wurden.
Alle freuen sich jetzt auf zu Hause, ich ja auch, aber bisschen traurig bin ich auch, weil es hier in Südfrankreich zu schön ist, um einfach wegzufahren. Es ist eine richtiges Idyll, von dem wir jetzt Abschied nehmen und weiter reisen, zurück nach Deutschland, nach Berlin, wo wir vor ungefähr zwei Monaten aufgebrochen sind.
Robert hat seine Routen im Kopf, wir fahren über Luxemburg. In Wasserbillig zerrt der deutsche Zoll den ganzen Bus auseinander, alle Felle, Klamotten, Webteppiche und andere Reiseandenken werden kritisch beäugt. Ein unvorsichtiger Zollbeamter will einen Blick in mein Reisenecessaire werfen, da ist die Ekelgrenze erreicht und wir dürfen einreisen in die Bundesrepublik Deutschland.
Ein paar Stunden weiter schlagen wir das letzte Nachtlager in einem Weinberg auf. Wir bauen unser Zelt auf wie jedes Mal, Robert, Gunne und a schlafen im Bus. Die Nacht wird richtig kalt. Als wir am nächsten Morgen aufwachen und aus dem Zelt schauen, sind alle Fensterscheiben am Bus von innen beschlagen. Die Busschläfer haben alle Flammen vom Gasherd aufgedreht und die Nacht über brennen lassen. Reiner Zufall, dass sie dabei nicht erstickt sind. Schön warm ist es aber drinnen.
Wir sind jetzt in Deutschland und reisen weiter nach Osten. Waren wir in der legendären Pizzeria an der Autobahn in Alsfeld (Hessen)? Auf einigen Reisen mit Gunne und Robert sind wir dort eingekehrt, aber ich erinnere mich nicht mehr genau, ob wir das bei dieser Gelegenheit auch getan haben. Dann geht es steil bergauf, Richtung DDR-Grenze Eisenach. Wieder ein Berg, an dem der Bus fast verreckt, mit 30, 40 km/h die Autobahn entlang kriecht. Ein LKW nach dem anderen überholt uns.
In Berlin angekommen, zerstreuen wir uns in alle Winde, haben einander lange genug genossen. Gunne geht von da an auf seine eigenen Reisen, ohne den Rest der Mannschaft. Agi zieht in die WG meiner Schwester. Bis ich eine von beiden wieder sehe, vergeht einige Zeit. Gunne sehe ich jeden Tag, weil wir in der gleichen WG wohnen — genau genommen sind wir die WG.
Was für eine Reisegesellschaft! Manche kannte ich besser, andere weniger gut. Trotz der ganzen gemeinsamen Erlebnisse hat uns diese Reise eigentlich nicht näher zusammengebracht. Wie die anderen die Zeit wohl erlebt haben? Vielleicht war es für manche ein Albtraum. Roberts Ex, die Gaby, die aus Athen nach Berlin zurück flog, sah ein, dass sie Robert nicht zurückbekommt und heiratete einen Südländer. Mit Agi war ich immer mal wieder zusammen, dann wieder nicht, bis sie ans Theater in Kassel ging und sich unsere Wege endgültig trennten.
Ein paar Tage nachdem wir aus Marokko zurück waren, kehrte ich zurück in die Buchhandlung, in der ich vor der Reise meine Lehre abgeschlossen hatte, und arbeitete dort noch einige Jahre. Großzügigerweise hatte man mir eine Auszeit für unsere Reise gewährt.
Mit Robert, der inzwischen einen ausgebauten Hanomag Matador hatte, und einigen anderen Freunden machte ich ein paar Jahre später im Frühjahr eine Reise nach Oberitalien. Wieder war eine Gaby mit von der Partie, diesmal offenbar die richtige. Sie heiratete Robert und sie bezogen zusammen einen Resthof in Schmerzke bei Brandenburg (die Mauer war inzwischen gefallen). Robert widmet sich dort seiner Leidenschaft, den Autos.
Inzwischen liegen diese Erlebnisse ein halbes Leben zurück. Unsere Art zu Reisen hat sich geändert ebenso wie die Länder, die wir zusammen bereist haben. Es ist eine wunderbare Erinnerung und Erfahrung. Ich bin dankbar, dass ich sie hier teilen darf.