An einem Tag in der zweiten Septemberhälfte hat die Stunde des Aufbruchs geschlagen, wieder packen wir alle Habseligkeiten zusammen und verstauen es so im Bus, dass wir noch Platz zum Sitzen haben. Das nächste Ziel heißt Andorra in den Pyrenäen, unser Weg führt einmal quer durch Spanien, über die Hauptstadt Madrid.
Da es zu diesem Zeitpunkt keine Aufzeichnungen im Reisetagebuch mehr gibt, schreibe ich meine Erinnerungen aus einem Abstand von fast vierzig Jahren auf. Es gibt ein paar Bilder, die sich mir eingeprägt haben, zum Teil natürlich, weil jemand es fotografiert oder davon erzählt hat, aber auch Bilder, die mich so beeindruckt haben, dass sie mir einfach in Erinnerung geblieben sind.
Diesen Abschnitt der Reise legen wir wieder ohne Übernachtungshalt zurück. Für den Fahrer bedeutet das, er fährt solange er die Augen offen halten kann. Dann fährt er rechts ran, (der Motor muss weiter laufen, weil der Magnetschalter des Anlassers hängt und der Motor deshalb nicht neu gestartet werden kann), der andere Fahrer wird geweckt und steigt auf den Fahrersitz.
Unterhalb einer gewaltigen Festung in einem öden Tal ohne Baum und Strauch (möglicherweise Cordoba) im orangen Licht der Quecksilberdampflampen tauschen wir in der Nacht das erste Mal. Es ist schade, dass wir an den berühmten Städten Sevilla und Cordoba vorbeifahren, aber der Erlebnishunger der meisten Mitreisenden ist gestillt, für eine weitere Unterbrechung der Reise findet sich keine Mehrheit. Weiter geht die Reise durch die Nacht, dann mit reduzierter Geschwindigkeit, denn jetzt geht es dauernd bergauf zur kastilischen Hochebene Meseta, wo Madrid liegt.
Der Bus reiht sich ein in die Kolonne von alten und neuen, großen und kleinen Lieferwagen, die — wie ich vermute — Lebensmittel und andere Versorgungsgüter in die Hauptstadt bringen. Wenn ich es schaffe, mit dem Bus, der sich mit der Steigung wirklich schwer tut, den einen oder anderen dieser Lieferwagen zu überholen, sieht man manchmal auf einer Ladefläche Kisten mit Obst und Gemüse und Käfige mit Tieren und kann sich gut vorstellen, wie die Karawanen von Ochsen- und Eselskarren ausgesehen haben müssen, die sich in früheren Zeiten hier hinaufgequält haben. Wir fahren auf einer zweispurigen Landstraße, die sich am Berghang entlang immer höher windet. Überholmanöver sind für mich Führerscheinneuling und Stadtfahrer nervenaufreibende Aktionen, die ich manchmal abbrechen muss, weil die Puste nicht reicht, um vorbeizuziehen oder weil plötzlich Gegenverkehr auftaucht.
Ich erinnere mich, dass wir im ersten Licht der Morgensonne die Vororte von Madrid erreichen. Inzwischen habe ich mich schlafen gelegt und Robert fährt. Ich wache kurz auf und sehe durch das trübe Autofenster Menschen an einer Bushaltestelle warten, mit Aktentaschen und Brotboxen auf dem Weg zur Arbeit. Auch in dieser Stadt landet man immer wieder an der selben Stelle, wenn man dem Schild „todas direcciones” (oder so) folgt. Am Ende schafft es Robert, dass wir Madrid hinter uns lassen. Abends halten wir am Fuß der Pyrenäen und schlafen uns erstmal richtig aus.
Andorra preist Gunne uns vor allem wegen seines zollfreien Einkaufs an. Als wir am nächsten Morgen dort ankommen, erstehe ich eine Stange Gauloises jaunes, sehr starke, filterlose Zigaretten, die angeblich in Maispapier gewickelt sind und einen süßen Geschmack haben. Nachdem ich eine davon geraucht habe, fühle ich mich elend und lege die Packung erstmal weg. Ich wechsele auftragsgemäß die Glühbirne vorne links, baue dabei überflüssigerweise aber den ganzen Scheinwerfer auseinander. Als das herauskommt, wird die Stimmung etwas gereizt.
Der Schaden ist aber schnell behoben und wir fahren den nördlichen Pyrenäenhang hinunter nach Frankreich. Bis jetzt sind die Grenzkontrollen lax, Schmuggeln gehört in Andorra zum kulturellen Erbe, versichert Gunne.
In der Nähe von einem südfranzösischen Landstädtchen (sehr wahrscheinlich Les Cabannes), in dem gerade ein Jahrmarkt stattfindet, finden wir einen geeigneten Übernachtungsplatz. Auf einer sanft ansteigenden Wiese, die von einem Wäldchen vor den Augen Neugieriger geschützt ist, steht der Bus hinter einer Scheune. Wir liegen im Gras und hören aus dem Auto Deutschlandradio. Eine Parlamentsdebatte wird in Ausschnitten überragen und wir lachen Tränen bei einem etwas lahmen Abgeordnetenwitz über ein „kleines deutsches Bergvolk” (gemeint sind die Bayern).
Agi und ich gehen hinüber in die Stadt mit dem Rummel und treiben uns dort ein bisschen herum. Wahrscheinlich wirken wir hier fremd, mit unseren bunt gemischten Klamotten und braungebrannt, wie wir sind. Wir setzen uns an ein Tischchen vor einen Café und bekommen trotz unseres Aussehens einen Kaffee. Die Sonne scheint, wir gucken noch ein bisschen, für große Sprünge reiht die Barschaft nicht mehr.