1. Sep­tem­ber

Als ich am Mor­gen aus tie­fem, einer Voll­nar­ko­se ähn­li­chen Schlaf erwa­che, sehe ich als Ers­tes an der Fens­ter­klap­pe über mir einen maus­gro­ßen Ali­en sitzen.

Ver­dammt – ich hät­te die­ses Zeugs echt nicht rau­chen sol­len. Ich seh’ schon klei­ne grü­ne Männ­chen,” kräch­ze ich, wäh­rend ich nach mei­ner Bril­le tas­te, ohne den Blick von dem gras­far­be­nem Außer­ir­di­schen abzuwenden.

Inge, die schon fix und fer­tig ange­zo­gen ist und in ihrem Ruck­sack her­um­kramt, lacht.

Nun, wegen des Viechs da brauchst du dir kei­ne Sor­gen zu machen, das ist kei­ne Hal­lu­zi­na­ti­on. Das ist eine Got­tes­an­be­te­rin, und die sind wirk­lich so riesig.”

Inzwi­schen habe ich mei­ne Bril­le auf der Nase und sehe auch, dass es sich bei dem grü­nen Wesen wohl doch nicht um einen Ali­en handelt.

Aller­dings… für ein Insekt scheint es mir ein­fach eine Num­mer zu groß zu sein.

Die Man­to­dea kommt mir nicht vor wie ein Krab­bel­tier­chen, das ein Vogel mal eben im Vor­über­flie­gen auf­pi­cken könn­te, son­dern mehr wie eine wehr­haf­te, klei­ne Per­sön­lich­keit, die mich eben­so auf­merk­sam zu beob­ach­ten scheint wie ich sie.

Früh­stück – Tee, Kaf­fee und Müs­li mit H‑Milch und Früch­ten – gibt es auf dem Park­platz hin­ter dem Hotel, wo Rolf und Cathe­ri­ne wie immer im 608 über­nach­tet haben.

In der Stadt wer­det ihr näm­lich kaum etwas zu essen krie­gen,” erklärt unser Fah­rer, „bis Mit­te des Monats ist noch Rama­dan. Und der isla­mi­sche Fas­ten­mo­nat wird hier­zu­lan­de erns­ter genom­men als in Per­si­en, wo der Schah zumin­dest in der Gas­tro­no­mie erfolg­reich west­li­che Sit­ten ein­ge­führt hat.”

Viel­leicht hat das per­si­sche Essen des­halb so mise­ra­bel geschmeckt – weil da Mus­li­me mit knur­ren­dem Magen am Herd ste­hen und für „ungläu­bi­ge” Aus­län­der kochen muss­ten…” ver­mu­tet Susi.

Rolf zuckt die Ach­seln. „Ich bin auch schon durch den Iran gefah­ren, wenn nicht gera­de Rama­dan war, aber auch dann gab es meist nur Reis, Fleisch, Zwie­beln und ran­zi­ge Butter.”

Die afgha­ni­sche Küche ist eigent­lich gar nicht so übel,” ergänzt Cathe­ri­ne, „scha­de, dass die paar Restau­rants und Tee­stu­ben, die es in Herat gibt, zur Zeit alle geschlos­sen sind. Hier im Hotel kriegt man wahr­schein­lich nur irgend­wel­che Sand­wi­ches, und auch das bestimmt erst nach Son­nen­un­ter­gang. Aber in Kabul gibt es eini­ge gute Restau­rants, da kön­nen wir dann mal lecker essen gehen.”

Nach dem Früh­stück machen Inge und ich uns auf, die Stadt, die eini­ge Sehens­wür­dig­kei­ten zu bie­ten hat, zu erkunden.

In Herat scheint es, eben­so wie in Tehe­ran, kei­ne Frau­en zu geben.

Über­all sehen wir nur Män­ner, die trotz der irren Hit­ze mehr oder weni­ger volu­mi­nö­se Tur­ba­ne – oder sogar Fell­kap­pen – auf den Köp­fen tra­gen. Nur ein­mal sehen wir in der Fer­ne drei von einem jun­gen Mann eskor­tier­te Frau­en um eine Ecke huschen, von Kopf bis Fuß ver­hüllt in jene far­bi­gen Ganz­kör­per­schlei­er, die – so haben wir es am Mor­gen von Cathe­ri­ne gelernt – „Bur­ka” hei­ßen.

Grau­en­haft,” sagt Inge, „die müs­sen doch kurz vorm Ersti­cken sein unter die­sen Zeltplanen!”

Ich nicke zustim­mend; der Schweiß läuft einem ja schon den Rücken hin­un­ter, wenn man, wie wir, bloß im kurz­ärm­li­gen T‑Shirt und lan­ger Hose unter­wegs ist…

Nach­dem wir die alte Fes­tung und die gro­ße Moschee (von außen) beguckt haben, schlen­dern wir die „Shar – I – Nau” hin­un­ter, Herats Haupt­stra­ße mit den meis­ten Geschäften.

Mit der mon­dä­nen Ave­nue im Her­zen von Tehe­ran ist sie nicht zu ver­glei­chen, auch nicht mit dem Istan­bu­ler Basar… Über die vier­spu­ri­ge Stra­ße rollt nur alle fünf, zehn Minu­ten ein Old­ti­mer, manch­mal auch ein betag­ter Bus oder ein bunt bemal­ter Last­wa­gen. Haupt­ver­kehrs­mit­tel schei­nen aber klapp­ri­ge Fahr­rä­der zu sein.

Neben Werk­stät­ten und Läden mit Haus­halts­wa­ren gibt es an der „Shar – I – Nau” auch eini­ge Geschäf­te, deren Ange­bot sich haupt­säch­lich an Tou­ris­ten richtet.

Dort gibt es mit ech­ten und unech­ten Halb­edel­stei­nen reich besetz­te Schmuck­stü­cke und Dol­che, Was­ser­pfei­fen, Mes­sing­känn­chen, ‑tabletts und ‑scha­len, klei­ne Tep­pi­che, Leder­gür­tel und Taschen, außer­dem die mit Bro­kat-Bor­ten besetz­ten und mit Sei­de gefüt­ter­ten, bun­ten Samt­wes­ten der Kuchi-Noma­den – und far­bi­ge Bur­kas sowie Blu­sen, Röcke und Hosen aus dem in fei­ne Plis­see-Fal­ten geleg­ten Burka-Stoff.

Igitt, fass mal an – ich glau­be, das ist zu allem Über­fluss auch noch Kunstfaser!”

Inge befin­gert das Mate­ri­al und stimmt mir zu: „Ja, bes­ten­falls ist es Vis­ko­se, könn­te aber Acryl sein. Und so etwas müs­sen die armen Frau­en bei die­sen Tem­pe­ra­tu­ren tragen!”

Mit­lei­dig schüt­telt sie den Kopf.

Da gefal­len uns die Kuchi-Wes­ten aus alten Samt‑, Sei­den- und Bro­kat­stof­fen weit­aus bes­ser. Kör­be­wei­se ste­hen sie in oder vor jedem der Sou­ve­nir-Shops, und es dau­ert eine Wei­le, bis ich eine gefun­den habe, die mir bes­ser als alle ande­ren gefällt. Und danach dau­ern die Ver­hand­lun­gen über ihren Preis noch ein­mal min­des­tens dop­pelt so lange…

Cathe­ri­ne hat­te uns gesagt, dass Feil­schen der belieb­tes­te afgha­ni­sche Volks­sport sei, und sie hat nicht übertrieben.

Es macht den Händ­lern ganz offen­sicht­lich so viel Spaß, dass man den Ein­druck hat, es gin­ge gar nicht in ers­ter Linie dar­um, etwas zu kau­fen oder zu ver­kau­fen – son­dern als gin­ge es hier um einen Wett­be­werb. Um eine Art von Schau­spiel-Wett­streit, bei dem der gewinnt, der über die (selbst­ver­ständ­lich total unrea­lis­ti­schen) Vor­schlä­ge des Ande­ren am lau­tes­ten zu lachen ver­mag, der sei­ne Hän­de (ob des viel zu hohen bzw. viel zu nied­ri­gen Prei­ses) am über­zeu­gends­ten ringt und die ent­setz­li­chen Fol­gen die­ses (für ihn) rui­nö­sen Geschäf­tes am dra­ma­tischs­ten dar­stel­len kann.

Letzt­lich erste­he ich mei­ne Wes­te für etwa ein Drit­tel des ursprüng­lich genann­ten Prei­ses, eine lächer­lich gerin­ge Sum­me für eine so kunst­voll von Hand gear­bei­te­te Tex­ti­lie, aber ver­mut­lich habe ich trotz­dem viel zu viel bezahlt. Der Ver­käu­fer hat gemerkt, dass ich genau die­se Wes­te gern haben woll­te – und damit hat­te ich das Spiel schon verloren.

In einem ande­ren Laden kau­fe ich ein hand­li­ches Klapp­mes­ser mit einem Griff aus Horn mit Perl­mutt-Intar­si­en, schlicht und ohne viel Schnick­schnack, aber mit höl­lisch schar­fer Klinge.

Dies­mal tue ich ganz unin­ter­es­siert und so, als wol­le ich lie­ber erst noch mal im nächs­ten Laden gucken. Und sie­he da, die­se Tak­tik führt dazu, dass ich den Dolch für ein Fünf­tel des ursprüng­lich vom Laden­in­ha­ber genann­ten Preis bekomme.

Inge kriegt das für die­se Metho­de erfor­der­li­che Poker­face nicht so gut hin, sie errö­tet viel zu leicht. Aber sie ent­wi­ckelt eine eige­ne Stra­te­gie: wenn der Ver­käu­fer sei­nen Preis nennt, fängt sie an zu kichern, als hät­te er einen wirk­lich guten Witz gemacht.

Sei es, dass das die Afgha­nen ver­un­si­chert, oder dass sie einer kichern­den Blon­di­ne ein­fach nicht wider­ste­hen kön­nen – mei­ne Freun­din kriegt einen Leder­gür­tel und eine schön ver­zier­te Mes­sing­scha­le zum Schnäppchenpreis.

Gegen Mit­tag tre­ten wir den Rück­weg in Rich­tung Hotel an.

Wir sind zwar noch nicht beson­ders hung­rig, aber der Durst macht uns zu schaf­fen. Außer­dem gibt es im Hotel Annehm­lich­kei­ten, die in die­sem Teil der Welt schnell zu unwi­der­steh­li­chen Ver­lo­ckun­gen wer­den – leid­lich sau­be­re Toi­let­ten und eine Dusche mit (wenn auch spär­lich) flie­ßen­dem Wasser.

In einen letz­ten, ziem­lich gro­ßen Laden gehen wir aber dann doch noch hin­ein, weil es dort neben den übli­chen Silber‑, Mes­sing- und Leder­wa­ren (und den obli­ga­to­ri­schen Bur­kas) auch noch mit Sti­cke­rei, Per­len und Spie­gel­chen ver­zier­te Klei­dungs­stü­cke gibt, wie wir sie aus Ham­bur­ger Ori­ent-Shops ken­nen. Vom leich­ten Hemd­chen aus dün­ner Baum­wol­le über den bedruck­ten Rock mit Glöck­chen bis hin zum bestick­ten Man­tel aus stin­ken­dem Zie­gen­fell – die gan­ze Palet­te des Hip­pie-Cou­ture halt…

Der Ver­käu­fer, ein jun­ger Mann mit samt­brau­nen Augen, heißt uns in flie­ßen­dem Eng­lisch will­kom­men. Ein gro­ßer Ven­ti­la­tor auf dem Laden­t­re­sen bewegt die war­me Luft und ver­schafft einem in der erbar­mungs­lo­sen Mit­tags­hit­ze die Illu­si­on einer gewis­sen Abkühlung.

In eini­gen der Hem­den, Röcken und Pump­ho­sen, die wir uns anse­hen, fin­den sich Eti­ket­ten mit Fir­men­na­men, die ich aus Ham­bur­ger Indi­en-Läden kenne.

Als ich Inge dar­auf auf­merk­sam mache, freut sich der jun­ge Afgha­ne unge­mein, unse­re Spra­che zu hören:

You are from Ger­ma­ny, right? Whe­re do you live in Ger­ma­ny – in Munich?”

No, we are from Ham­burg, ” ant­wor­te ich.

Ah, Ham­burg… I heard that it is a beau­tiful city. I never was in Ham­burg, but I was in Munich – two times. A very beau­tiful city, too. I loved the ‚Eng­lish Garden’!”

Er strahlt bei der offen­sicht­lich schö­nen Erinnerung.

You are doing export busi­ness with Germany?”

Ich deu­te auf das deutsch beschrif­te­te Labels im Bund eines mit Spie­geln bestick­ten Rocks, den ich gera­de in der Hand habe.

Yes, my who­le fami­ly is in the export bui­siness, not only with Ger­ma­ny. One of my brot­hers is living in Munich, a cou­sin in Fran­furt, and ano­ther cou­sin in London.”

Er sieht sehn­süch­tig aus, als er sei­ne im Aus­land leben­den Ver­wand­ten erwähnt. Armer Kerl, den­ke ich – die las­sen ’s kra­chen im „Gol­de­nen Wes­ten”, aber dich hat dei­ne Fami­lie dazu ver­don­nert, den weni­gen Tou­ris­ten, die in Herat Sta­ti­on machen, Pump­ho­sen und Was­ser­pfei­fen anzudrehen…

Inge hat der­weil eine gift­grü­ne Bur­ka aus dem Regal genommen.

Die Far­be steht dir nicht,” tei­le ich ihr mit – und kor­ri­gie­re mich im nächs­ten Moment grin­send selbst: „Quatsch, die Far­be ist da eigent­lich egal – unter dem Teil sieht man dich ja gar nicht mehr.”

Sie dreht und wen­det den unför­mi­gen Sack.

Wie zieht man so ein Ding denn an? Ein­fach überstülpen?”

Ja klar – stell dir vor, du dir ziehst dir einen Kar­tof­fel­sack über den Kopf.”

Ich neh­me eine kobalt­blaue Bur­ka aus dem Regal und suche die Öff­nung. „Man muss halt nur drauf ach­ten, dass die­ser klei­ne gehä­kel­te Grill vorn ist – sonst sieht man gar nix mehr…”

Try it, try it!” ermun­tert mich der Ladenbesitzer.

Ich ste­cke mei­nen Kopf in den dunk­len Sack und las­se den Stoff an mir her­un­ter fallen.

Oben in dem tex­ti­len Unge­tüm befin­det sich eine Art ein­ge­ar­bei­te­te Kap­pe, die fest auf dem Kopf sitzt. Der klei­ne „Grill” vor mei­nen Augen besteht aus einer von klei­nen Löchern durch­bro­che­nen Häkel­ar­beit und erlaubt nur einen ver­schwom­me­nen Blick auf das, was sich direkt vor mir befindet.

Mein Sicht­feld ist stark ein­ge­schränkt; was rechts und links von mir pas­siert, ent­zieht sich mei­ner Kennt­nis, und um einen mei­ner eige­nen Füße zu sehen, muss ich die Stoff­mas­sen vor der Brust zusam­men­raf­fen, mich weit nach vorn beu­gen und gleich­zei­tig den Fuß vorschieben.

Wer sich die­se Kla­mot­te aus­ge­dacht hat, soll auf Ewig in der isla­mi­schen Höl­le schmo­ren – falls es die nicht gibt, soll­te sie zu die­sem Zweck erfun­den wer­den,” erklä­re ich Inge, die ich irgend­wo rechts von mir ver­mu­te, grim­mig. Mei­ne Stim­me klingt dumpf.

Ich kann nicht sehen, was rechts oder links von mir geschieht, habe weder die Erde noch den Him­mel im Blick… Und nicht nur mei­ne Sicht, auch mei­ne Beweg­lich­keit ist extrem ein­ge­schränkt. Das ist ein tex­ti­ler Frau­en­knast, in dem du jeder Bedro­hung hilf­los aus­ge­lie­fert bist – du kannst einem auf­dring­li­chen Blöd­mann kei­nen Hieb auf die Nase oder Tritt in die Weich­tei­le ver­pas­sen, und weg­ren­nen kannst du erst recht nicht!”

Jetzt beschlägt auch noch mei­ne Bril­le. Ich will sie mir von der Nase neh­men und ver­hed­de­re mich mit der Hand im Stoff, das Kopf­teil der Bur­ka ver­rutscht, und nun sehe ich gar nichts mehr. Es ist heiß und muf­fig unter dem blö­den Sack, und ich rin­ge nach Luft.

Eigent­lich nei­ge ich nicht zu Klaus­tro­pho­bie, aber als ich mit den Hän­den in den Fal­ten fest­ste­cke und das Teil nicht schnell genug wie­der los­wer­de, bin ich einer Panik-Atta­cke nahe.

Argh – Hil­fe! Ich will hier raus!”

Mit Inges Hil­fe gelingt es schließ­lich, mir die ver­dreh­te Bur­ka auszuziehen.

This is not a dress, it is a tor­tu­re!” fau­che ich den jun­gen Afgha­nen wütend an.

Bur­kas are terrible!”

Zu unse­rer Über­ra­schung stimmt er mir zu.

Yes, they are,” sagt er und schaut uns trau­rig an.

Becau­se of this” – er deu­tet ver­ächt­lich auf die am Boden lie­gen­de Bur­ka – „I will never marry.”

Inge sieht ihn fra­gend an.

Wenn er eine afgha­ni­sche Frau hei­ra­ten wür­de, erzählt er, dann bekä­me er sie erst nach der Hoch­zeit zu sehen – vor­her bekä­me er sie nur in vol­ler Bur­ka-Ver­mum­mung zu Gesicht.

Und das sei noch gar nicht das Schlimms­te, fährt er fort, denn vie­le Afgha­nin­nen wären sehr hübsch, und sei­ne Mut­ter – die für das Aus­su­chen der Bräu­te ihrer Söh­ne zustän­dig sei – wür­de bestimmt kei­ne häss­li­che Frau für ihn aus­wäh­len. Aber wenn zwei Men­schen den Rest ihres Lebens gemein­sam ver­brin­gen woll­ten, dann soll­ten sie sich auch mit­ein­an­der unter­hal­ten kön­nen, soll­ten gemein­sa­me Inter­es­sen und Plä­ne haben… Lei­der sei mit sei­ner Braut vor der Hei­rat zu reden eben­so strikt ver­bo­ten, wie sie ohne Bur­ka zu sehen – wie kön­ne er da wis­sen, ob es die „Rich­ti­ge” ist?

Wir sind verblüfft.

Ein sol­ches State­ment haben wir von einem tra­di­tio­nell geklei­de­ten Afgha­nen – in die­sem ver­schla­fe­nen Städt­chen am Rand der Wüs­te – wirk­lich nicht erwartet.

Glaubst du, der meint das ernst? Oder ist das bloß eine cle­ve­re Metho­de, Frau­en aus dem Wes­ten auf­zu­rei­ßen – weil die sol­che Sprü­che natür­lich unheim­lich toll fin­den?” fragt Inge.

Kei­ne Ahnung.” Ich zucke mit den Schultern.

Ich mei­ne, er war immer­hin schon im Wes­ten – hat also schon ein biss­chen was Ande­res ken­nen gelernt als die afgha­ni­schen Sit­ten und Gebräuche.”

Ob denn alle Frau­en in Afgha­ni­stan Bur­ka trü­gen, fra­ge ich ihn, denn ich hät­te gehört, dass es in Kabul auch unver­hüll­te Frau­en gäbe, Ärz­tin­nen, weib­li­che Inge­neu­re, Stu­den­tin­nen an der Universität…

Er nickt.

Ja, die gäbe es, und in den klei­nen Dör­fern der Pro­vinz wür­den die Frau­en auch kei­ne Bur­ka tra­gen. Ich hät­te ja gera­de selbst erlebt, wie sehr die­ses Klei­dungs­stück einen behin­dern wür­de, des­halb käme es für Frau­en vom Lan­de, die viel kör­per­lich arbei­ten, nicht in Fra­ge. Und auch bei den Noma­den­stäm­men in den Ber­gen und in der Wüs­te sei­en die Frau­en unver­schlei­ert, schon immer.

Aber lei­der – jetzt hat er wie­der die­sen trau­ri­gen Dackel­blick – sei er ein Spross einer der ange­se­hens­ten Tadschi­ken-Fami­li­en in Herat, und dass wür­de den Kreis der für ihn in Fra­ge kom­men­den Frau­en doch sehr einschränken.

Er kön­ne nun mal kei­ne ein­fa­che Frau vom Lan­de hei­ra­ten, eine Haza­ra womög­lich, oder eine Pasch­tu­nin. In einem sol­chen Fall wür­de sei­ne Fami­lie ihn ver­sto­ßen, und ohne Clan im Rücken sei man ein Nichts in Afgha­ni­stan – da hät­te er ja genau­so gut Brit­ta hei­ra­ten können…

Brit­ta?” fra­gen Inge und ich wie aus einem Mund.

Und so erfah­ren wir die Geschich­te sei­ner gro­ßen Lie­be – aus dem fer­nen Däne­mark. Auf der Durch­rei­se war sie, so wie wir, und kam in sei­nen Laden, weil sie einen Sil­ber­ring kau­fen woll­te. Und dann blieb sie zwei Mona­te in Herat… Im Jahr dar­auf tra­fen sie sich in Mün­chen, und im drit­ten Jahr war sie wie­der sechs Wochen lang in Herat, wo er ihr ein Zim­mer besorgt hat­te. Aber im vier­ten Jahr kam Brit­ta nicht wie­der, und sei­ne Brie­fe nach Arhus blie­ben unbeantwortet.

Wahr­schein­lich, sagt er tap­fer lächelnd, hat sie einen guten däni­schen Mann gefunden.

Die Geschich­te ist fast zu herz­er­grei­fend, um wahr zu sein, aber dann holt er ein Album her­vor, in das er Fotos ein­ge­klebt hat, Brie­fe, Tickets und Zettelchen.

Eine lachen­de jun­ge Frau mit blon­den Haa­ren ist auf den Bil­dern neben ihm zu sehen, auf einem – wohl in Mün­chen auf­ge­nom­men – drückt sie ihm sogar ein Küss­chen auf die Wan­ge. Die Brie­fe sind in eng­lisch, die Schrift ist rund und gera­de wie die einer ordent­li­chen Siebtklässlerin.

Wir ver­ab­schie­den uns von unse­rem afgha­ni­schen Romeo – der übri­gens Moham­mad heißt – und wan­dern zurück zum Hotel, nicht ohne ver­spro­chen zu haben, dass wir bald wiederkommen.

Denn wir wer­den ja eini­ge Tage blei­ben, hier in Herat.