Nachdem wir die letzten Gebäude und Gassen Kabuls hinter uns gelassen haben, durchquert der 608 auf einer schmalen, aber immerhin asphaltierten Piste eine Landschaft, die immer schroffer und steiniger wird. Am Rande der Stadt gab es wenigstens ein paar Bäume und bewässerte grüne Flächen, aber nun schweift der Blick ausschließlich über Felsen und Geröllfelder, die, wenn überhaupt, nur spärlich mit niedrigem Gestrüpp bewachsen sind.
Ich bin in melancholischer Stimmung.
Heute morgen ist mir klar geworden, dass so eine Reise ins Unbekannte – die ich bisher nur als Bereicherung, als ein tägliches Lernen und aufregendes Entdecken von fremden Ländern und Menschen empfunden habe – auch ihre Schattenseite hat. Solange das Reiseziel nicht erreicht ist, geht es nämlich immer weiter, auch dann, wenn man eigentlich viel lieber bleiben als weiter reisen möchte.
Yussuf, Mohammed, Enrique… Vermutlich werde ich keinen von ihnen je wiedersehen.
Andererseits: wer und was mag da vor mir noch darauf warten, entdeckt zu werden?
Plötzlich bin ich ganz sicher, dass ich an keinem der faszinierenden Orte, die ich gesehen habe – und auch bei keinem der wundervollen Menschen, die mir begegnet sind – schon wirklich „angekommen” bin.
Wäre es so gewesen, hätte ich es bestimmt gespürt – und wäre einfach geblieben.
Das Ziel meiner Reise muss also immer noch irgendwo vor mir liegen…
Das Gebirge um uns herum bietet mittlerweile einen auf so aufregende Art unwirklichen Anblick, dass ich nicht länger Trübsal blasen kann.
Ich packe meinen Fotoapparat aus, und nur die Ungewissheit, in welcher Qualität (und zu welchem Preis!) Nachschub an Dia-Filmen in Pakistan oder Indien erhältlich ist, hält mich davon ab, auf einer Strecke von wenigen Kilometern einen ganzen Film zu verknipsen.
Da ich nicht jede Kurve, jede Schlucht und jede Brücke fotografieren kann, klebe ich mit der Nase an der Seitenscheibe und sauge die Bilder mit aufgerissenen Augen in mich hinein.
Als dann auf einem Felsvorsprung neben der Straße zwei Paschtunen auftauchen, die außer voluminösen Turbanen auch Dolche im Gürtel, breite Patronengurte sowie kunstvoll verzierte Gewehre tragen, wird mir klar, warum diese felsige Landschaft mir so eigenartig irreal erscheint – weil ich Derartiges bislang nur in meiner Fantasie gesehen habe!
Und zwar in den Tagen meiner Kindheit, wenn ich mit glühenden Wangen (oft abends, mit einer Taschenlampe „bewaffnet” unter der Bettdecke) jene Karl May-Bände verschlang, die die Abenteuer des Kara Ben Nemsi in Nordafrika und im Orient erzählen.
„Ich weiß, sie sehen malerisch aus, aber bitte fotografiert die Jungs nicht,” ruft Rolf durch den Bus, und Rosi und ich lassen unsere Kameras sinken.
„Hier ist Stammes-Gebiet, und wir sollten diese Herren nicht provozieren. Ihre Flinten sind nämlich keine Dekoration, die werden auch benutzt – für Schmuggel, Blutrache oder Straßenraub…” erklärt unser Fahrer und gibt Gas, um uns möglichst schnell aus der Schussweite der beiden Posten zu bringen.
Die wie an die Felsen geklebten Gebäude und winzigen, aus wenigen Häusern bestehenden Ansiedlungen, die es hier zu sehen gibt, bestätigen Rolfs Einschätzung – sie haben kleine, wie Schießscharten wirkende Fenster, sind von Mauern umgeben und machen den Eindruck von jederzeit auf Angriffe vorbereiteten Trutzburgen.
Die Straße, auf der wir unterwegs sind, ist überwiegend einspurig. Auf der einen Straßenseite ragt in der Regel eine Bergwand empor, und auf der anderen Seite geht es meist hinunter in eine schwindelerregend tiefe Schlucht. Manchmal trennt noch ein niedriges Mäuerchen Straße und Abgrund, oft genug aber auch nicht. Ab und zu verbreitert sich die Piste zu einer Einbuchtung, in die man ausweichen kann, um Gegenverkehr passieren zu lassen. Glücklicherweise gibt es kaum Gegenverkehr; warum auch immer, auf der ganzen Strecke zum Pass begegnen uns höchstens ein Dutzend Autos, bunt bemalte LKWs und uralte Limousinen – allesamt mit Menschen und Material so überladen, dass es an ein Wunder grenzt, dass diese Fahrzeuge es noch die Steigungen hinauf geschafft haben.
Irgendwann hält Rolf vor einer Brücke an, die zwei gegenüberliegende Berghänge über eine Schlucht hinweg verbindet.
Anna spricht aus, was wir alle denken:
„Meine Güte, wie willst du denn da rüber kommen?”
In der letzten Viertelstunde hat sich die (einspurige) Straße auf die übliche Weise am Berg entlang geschlängelt – rechts Felsen, links Abgrund. Nun ragt plötzlich auch direkt vor uns eine Felswand auf. Davor macht die Straße einen scharfen Knick nach links, auf die schmale Brücke. Und das ist wirklich ein 45-Grad-Knick, keine Kurve!
Am Ende der Brücke folgt der nächste Knick, wieder 45 Grad, diesmal nach rechts. Auch dort gilt wieder: Felswand auf der einen, Abgrund auf der anderen Straßenseite.
„Ach, da bin ich bisher noch jedes Mal rum gekommen,” meint unser Fahrer gelassen, und während er beginnt, den Bus unter vollem Einsatz am Lenkrad stückweise vor und zurück zu rangieren, erzählt er, dass er von dieser Stelle aus schon mal sechs Kilometer bis zur nächsten Ausweichmöglichkeit im Rückwärtsgang fahren musste, weil auf der anderen Seite der Fahrer eines Reisebusses dabei war, sein Fahrzeug auf die Brücke zu manövrieren.
„Und der hatte immerhin schon das vordere Drittel des Busses um die Ecke gebracht, der mittlere Teil hing dabei überm Abgrund… Die Passagiere waren alle ausgestiegen, nur der Fahrer saß noch im Bus und hat sich die Seele aus dem Leib gekurbelt. Das Ganze hat Stunden gedauert; war aber auch wirklich eine Riesenkiste,” Rolfs Respekt vor der fahrerischen Leistung klingt in seiner Stimme mit.
„Na, und möchte jemand von euch vorher aussteigen?”
„Nö,” sage ich sofort, und auch die anderen Passagieren wollen die Brücke nicht zu Fuß überqueren. Erst als ich über meine spontane Antwort nachdenke, merke ich, dass ich die Vorstellung, gemeinsam mit meinem Mitreisenden in die Schlucht zu stürzen, weniger beängstigend finde als die, den Khyber-Pass allein und zu Fuß bewältigen zu müssen.
Rolf braucht zwar nicht mehrere Stunden, aber es dauert schon etwa eine Viertelstunde, bis der Bus tatsächlich auf der Brücke steht. Dann rollt er einige Meter, und das Rangieren geht von vorn los: Lenkrad im Uhrzeigersinn einschlagen, ein kleines Stück vorrollen, dann das Lenkrad in die entgegengesetzte Richtung kurbeln und den Wagen ein noch kleineres Stück zurück rollen lassen, dann das Lenkrad rechts herum drehen, und so weiter, und so fort…
Niemand sagt etwas, alle beobachten aufmerksam Rolfs Aktivitäten am Steuer des 608.
Dankenswerterweise ist unser sonst oft so „zappeliger” Fahrer in dieser Situation die Ruhe selbst – was ich ebenso beruhigend finde wie für die Vorstellung, dass er dieses wilde Gebirge und auch diesen Engpass ja bereits fünfmal erfolgreich durchquert hat.
Als die Brücke hinter uns liegt, geht ein hörbares Aufatmen durch den Bus.
Plötzlich reden alle wieder, und Ulli fängt an, einen riesigen Joint zu bauen.
„Wenn du noch was von dem Zeug hast, sollten wir es in den nächsten zwei, drei Stunden wegrauchen,” erklärt ihm Rolf, „sonst musst du ’s vor der Grenze aus dem Fenster schmeißen. Wenn die pakistanischen Zöllner nämlich grad mal wieder Ärger mit Schmugglern hatten, haben sie ganz schlechte Laune – dann kontrollieren sie besonders gründlich, oder sie machen die Grenze für ein, zwei Tage ganz dicht!”
Ulli macht ein Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. Vermutlich hat unser sparsamer Landfreak in Kabul einen großen Brocken Charas günstig erstanden, und nun bekommt er zu hören, dass er es bis zur Grenze verbrauchen oder weg werfen muss!
Abgesehen von Agnes sind wir ihm gern dabei behilflich, die Droge zu vernichten, und Rolf legt eine Kassette mit Pink Floyds „Wish you were here” ein. („Up the Khyber” von der LP „More” wäre eigentlich noch passender.) Ich klettere nach hinten auf die Matratze, bestaune die faszinierende Gebirgslandschaft und bin einfach nur glücklich darüber, hier und jetzt unterwegs zu sein.
Wir erreichen eine Art Hochplateau, und inmitten von all dem Sand, Gestrüpp und Felsen erscheint plötzlich eine Reihe großer, tiefblauer Seen (vielleicht sind es auch Buchten eines einzigen, riesigen Sees). Wie ein Kette gigantischer, glatt polierter Edelsteine glänzen die Wasserflächen in der Sonne, und ich muss zweimal hinschauen, um mich zu vergewissern, dass ich keine Fata Morgana sehe.
Schade, dass Rolf hier nicht anhält.
Ich würde gern meine Hände in das Wasser tauchen, um wirklich sicher zu sein, dass es real ist. Und ich würde gern am Ufer dieses himmelblauen Sees tanzen… zur Musik von Pink Floyd.
Die Grenzstation Torkham liegt in einem Tal kurz vor dem Khyber Pass, und wider Erwarten werden wir dort ungemein zügig abgefertigt.
Wir müssen nicht einmal aussteigen; der Zollbeamte setzt sich auf den Beifahrersitz (den Catherine rechtzeitig frei gemacht hat) und stempelt unsere Pässe ab, die wir zu Rolf nach vorn gereicht haben. Dann wirf er noch einen Blick in die Runde und steigt wieder aus.
„Oh Mann, wenn ich das gewusst hätte!” stöhnt Ulli.
Er hat es nicht geschafft, sein Charas aufzurauchen, und musste den Rest auf der Serpentinenstrecke nach Torkham herunter aus dem Fenster werfen.
„So etwas kann man nie vorher wissen,” meint unser Fahrer achselzuckend.
Allerdings meine ich gesehen zu haben, dass zwischen unseren Pässen ein Geldschein steckte, als Rolf sie dem Zöllner überreichte. Warum sollte er auch nicht versuchen, die Grenzformalitäten mit ein paar Dollars abzukürzen? Die Hoffnung, ich würde noch einmal mit einer Beinahe-Ohnmacht dafür sorgen, dass wir schnell über die Grenze kommen, hat unser Fahrer inzwischen wohl klugerweise aufgegeben.
Nach der Passüberquerung geht es bergab, und nach und nach verändert sich… na ja, eigentlich verändert sich alles.
Links und rechts der Straße wuchert eine saftig grüne, exotische Vegetation. Erst bei ihrem Anblick wird mir bewusst, wie sehr Sand und Stein die Gegenden dominiert haben, die wir in den letzten Wochen durchquert haben – seit der Osttürkei.
Auch die Menschen sehen ganz anders aus.
Die meisten Männer sind mit weiten Gewändern und Turban zwar ähnlich gekleidet wie die Paschtunen im afghanischen Grenzgebiet, aber hier gibt es endlich keine Burka-vermummten Phantome mehr. Stattdessen tragen die Frauen hier einen aus einer Hose und einem langen Oberteil (und meist noch einem dazu passenden Schal) bestehenden Panjabi Dress oder einen farbenfrohen Sari.
Was für eine Erleichterung, endlich wieder die Gesichter und die Haare von Frauen zu sehen! Und wie schön diese Frauen mit ihren lackschwarzen, zu dicken Zöpfen oder Knoten frisierten Haaren, den mit Kajal geschwärzten Augenlidern und ihrem glitzernden Schmuck sind!
Es herrscht auch viel mehr Verkehr als in Afghanistan.
Dort war es gar nicht besonders aufgefallen, dass Rolf „auf der falschen Seite” fuhr. Hier aber ist so viel los auf den Straßen, dass Catherine unserem Fahrer bei Überholmanövern assistieren muss. Der 608 ist nun mal kein Rechtslenker, und deshalb hat sie vom Beifahrersitz aus die bessere Sicht auf den Gegenverkehr.
Das Klima unterscheidet sich ebenfalls stark von der heißen Wüstenluft, an die wir uns schon so gewöhnt haben. Mächtig warm ist es hier auch, aber die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass jede Bewegung zur schweißtreibenden Anstrengung wird.
„Puh! Das ist hier ja wie in der Sauna,” stöhnt Rosi.
Am frühen Abend kommen wir nach Peschawar, und Rolf fährt zu einem Hotel, dass er uns als „leidlich sauber und recht günstig” beschreibt. Auch das Hotel-Restaurant sei empfehlenswert, und das ist eine sehr gute Nachricht, denn nach der langen Fahrt sind wir ziemlich hungrig.
Das Gebäude stammt mit Sicherheit aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft.
Man kann sich gut vorstellen, wie damals tropenbehelmte Offiziere in dieser Lobby beisammen standen oder hoheitsvoll blickende Ladies mit schwingenden Röcken die breite Treppe herab kamen.
Teuer ist es trotzdem nicht, hier abzusteigen, denn bei der ganzen Pracht ist der Lack ab. Wo früher vermutlich Kronleuchter hingen, baumeln jetzt nackte Glühbirnen. Die wenigen verbliebenen Teppiche sind von Motten zerfressen, der rissige Putz bröckelt und die knarrenden Stufen der Treppe hängen so durch, dass erhöhte Aufmerksamkeit bei ihrer Benutzung geboten ist.
Das Zimmer, das Inge und ich gemietet haben, hat aber trotz der durchgelegenen Matratzen in den Betten und und der minimalen Möblierung (Betten, ein Tisch, ein Stuhl…) Charme.
Es ist riesig, und der große Ventilator unter der Decke funktioniert sogar.
Außerdem gehört dazu ein – ebenfalls riesiges – Badezimmer, in dem sich nicht nur ein Waschbecken und ein (europäisches) WC, sondern auch eine richtige Badewanne befindet! Seit Hamburg habe ich keine mehr zu Gesicht bekommen, ich dachte schon, in Asien kennt man nur Duschen.
Bei Anbruch der Dunkelheit treffen wir uns mit unseren Mitreisenden zum Essen im Hotel-Restaurant, und unser Fahrer hat nicht zuviel versprochen. Schon die würzigen Düfte, die aus der Küche kommen, sind sensationell.
Glücklicherweise sind die Speisekarten, die man uns vorlegt, in Englisch verfasst. Dass wir außer ein paar trockenen Keksen heute noch nichts gegessen haben, trägt natürlich auch dazu bei, dass wir eine Großbestellung aufgegeben.
Ich bestelle eine Portion Pakoras (die Inge und ich teilen wollen) und ein Lammcurry mit Reis, und der Kellner lächelt freundlich, schüttelt aber den Kopf. Das heißt, eigentlich wackelt er mit seinem Kopf hin und her.
Ich bin verwirrt. Bedeutet das, dass es keine Pakoras und kein Lammcurry gibt?
Catherine lacht, als ich sie frage. Nein, das sei die indische – oder auch pakistanische – Art des Nickens, erklärt sie mir, eine Geste der Zustimmung.
„Es bedeutet allerdings nicht unbedingt ein klares „Ja””, fügt sie hinzu, „sondern manchmal ist es auch bloß ein Akt der Höflichkeit. Wenn sie etwas nicht wissen, wackeln sie auch lieber lächelnd mit dem Kopf, statt dir ins Gesicht zu sagen, dass sie keine Ahnung haben, ob du auf der richtigen Straße unterwegs bist.”
In der Tat, der Kellner nimmt alle acht Bestellungen an unserem Tisch mit dem gleichen Kopfwackeln entgegen. Er hat sich nichts notiert (vielleicht kann er ja auch gar nicht schreiben?), und ich bin gespannt, ob jeder das bekommt, was er geordert hat.
Rolf hat Rindfleisch bestellt, denn das wird im überwiegend hinduistischen Indien, wo Kühe als heilige Wesen gelten, nicht mehr so einfach zu bekommen sein.
„Dafür kriegt man aber das beste Chicken-Curry der Welt in Delhi, im Kwality-Restaurant,” behauptet er, weil Rosi sich gerade ein Curry mit Hühnerfleisch bestellt hat.
„Kwality macht auch eine total leckere Eiskrem,” ergänzt Catherine.
„Eiskrem? Kann man denn in Indien Eis essen?” fragt Inge mit großen Augen. „Ich habe sogar in Hamburg schon mal von Softeis Durchfall gekriegt!”
„Du kannst nicht irgendeine Eiskrem in Indien essen, nur die von Kwality. Da kann man sich drauf verlassen, dass die okay ist. Auch Süßigkeiten wie Gulab Jamun zum Beispiel würde ich nie einfach irgendwo kaufen, sondern nur von Kwality. Wenn du solche Sweets in einem Shop am Straßenrand kaufst, kriegst du mit ziemlicher Sicherheit Würmer – oder Schlimmeres.”
„Kinners, können wir jetzt bitte das Thema wechseln?” protestiert Rolf.
„Ich gedenke nämlich, mir jetzt ordentlich den Bauch voll zu schlagen, und ich glaube, da kommt gerade mein Essen…”
Erstaunlicherweise hat unser Kellner nicht nur alle Bestellungen richtig behalten, sondern er weiß auch noch, wer was bekommt.
Wie ein General steht er mit hochgerecktem Kinn da und gibt den drei Hilfskellnern, die die Tabletts heranschleppen, mit knappen Gesten und halblaut gemurmelten Anweisungen zu verstehen, welche Teller und Schüsseln zu welchem Gast gehören.
Mein Essen ist so köstlich, wie die Düfte aus der Küche hoffen ließen, und auch die Anderen sind begeistert. Obwohl die Portionen reichlich bemessen sind, bleibt am Ende kaum ein Reiskorn übrig.
Nach dem Essen haben alle es eilig, in die Betten zu kommen. Wahrscheinlich bin ich die einzige, die nicht gleich schlafen geht – und das, obwohl auch ich hundemüde bin. Aber die Vorstellung eines Vollbads in der großen, emaillierten Wanne mit den Löwenfüßen reizt mich einfach zu sehr, und morgen soll es in aller Frühe weiter gehen, da werde ich keine Zeit für ein entspanntes Bad haben.
Ich drehe den Warmwasserhahn auf, und irgendwo in den alten Rohren rumpelt und pfeift es wie eine schottische Dudelsack-Kapelle. Dann verstummt das sonderbare Geräusch, und dampfendes, braunes Wasser sprudelt aus dem Hahn. Ich warte einen Moment, bis das heiße Wasser klar aus der Leitung kommt, und stecke erst dann den Stöpsel in den Abfluss.
Als die Wanne halb voll ist, setze ich mich hinein. Und dann sitze ich in dem warmen Wasser – und weiß nichts mit mir und diesem Badewannen-Luxus anzufangen.
Mir wird klar, dass es zwar an einem Novembertag in Hamburg, wenn man durchgefroren nach Hause kommt, nichts Schöneres gibt als ein ausgedehntes Vollbad, möglichst mit einem guten Buch und einem Glas Rotwein, dass so ein Bad in einer Gegend mit Sauna-Klima und gefühlten Durchschnittstemperaturen um die vierzig Grad jedoch kein Vergnügen ist. Was man hier braucht, ist eine kühle oder höchstens lauwarme Dusche!