Ostern 1969 war ich gerade 13. Meine Eltern, meine Schwester und ich waren bei unserer Tante und Cousine in Neckargemünd. Einen Nachmittag verbrachten mein Vater und ich in Heidelberg, das nicht weit entfernt liegt und gingen ins Kino. Es lief der Film „Verschollen im Weltraum” (OT: „Marooned”), den wir ziemlich spannend fanden. Danach marodierten wir noch ein bisschen durch die schöne Heidelberger Altstadt, obwohl Schnee lag und es für Ostern ziemlich kalt war.
In der Auslage eines Foto-Quelle-Geschäfts erregte eine einfache Super‑8 Kamera meine Aufmerksamkeit. Für 50 DM war sie auch für damalige Verhältnisse erschwinglich und mein Vater war für solchen Unsinn manchmal durchaus zu haben. Also begann ich zu baggern und zu bohren und ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Obwohl mein Vater mit Recht Manschetten vor den Folgekosten hatte, standen wir am Ende im Geschäft und ich hatte die Kamera in der Hand. Zwar war weder ich Fachmann auf dem Gebiet noch mein Vater, aber die Kamera hatte ein solides Metallgehäuse und gab ein vertrauenerweckendes Geräusch von sich, als ich auf den Auslöser drückte.
Die ersten 15 Meter Schwarzweißaufnahmen machte ich von der Familie und dem verschneiten Osterwald. Im Jugendkreis der evangelisch-lutherischen Mariengemeinde in Berlin-Zehlendorf fand ich dann Begeisterte, die ebenso für das Medium Super‑8 brannten. Zusammen mit meinen Freunden Rüdiger und Matthias und dem Pfarrer Jobst Schöne begann ich herauszufinden, was mit einer Filmkamera möglich ist und wie man eine Geschichte mit einem Film erzählt. Die ersten Filme handelten von Jugendfahrten und Gemeindefesten. Wir lernten, Szenen zu kombinieren (nicht nur aneinanderzukleben) und mit Musik, Geräuschen und einem Kommentar Filme so zu gestalten, dass außenstehende Dritte nicht sofort entnervt die Vorführung verließen.
In der gleichen Zeit zwang ich Freunde und Familie, in kleinen kruden Filmgeschichten mitzuwirken und lernte ein bisschen mehr über Bildausschnitte, Totalen und Nahaufnahmen, aus Büchern und durch Ausprobieren. Mein Freund Andreas musste als der „Camel-Mann” durch den Schlosspark Glienicke wandern, meine Cousine Sibylle und meine Schwester Ariane gerieten auf der Reise zu ihrer Tante Amalie (dargestellt von unserer Tante Johanna, der ältesten Schwester meiner Mutter) an einen Ganoven, konnten sich aber aus eigener Kraft aus seiner Gewalt befreien. Nachdem wir zusammen Roman Polanskis „Tanz der Vampire” gesehen hatten, musste Andreas aus unserem Dachboden als Blutsauger herabsteigen. Das Opfer seiner Begierde wurde von meiner Schwester dargestellt.
Eine weitere 3‑Minuten-Geschichte (mehr als eine Filmkassette auf einmal konnte ich mir nicht leisten) erzählt von einem Schuhkauf, bei dem die Kundin nur den Schuhkarton einigermaßen bequem findet. Ein anderes Kunstwerk, in dem mein Freund Andreas und meine Schweister Ariane drei Minuten lang in Zeitlupe über eine Blumenwiese aufeinander zu laufen und sich schließlich in die Arme nehmen, musste ich auf Intervention meiner Schwester und meiner Eltern vernichten, um jeden falschen Verdacht gegen meine noch sehr junge Schwester auszuschließen. Entweder war die Zeit für diese Art Lyrik noch nicht reif, oder ich war es noch nicht. Ingeheim grollte ich aber, denn in dem Film Woodstock hatten wir entschieden obszöneres gesehen.
Etwas länger ist die Geschichte von dem Einbrecher, der sich Zugang zu einer Wohnung verschafft, dort isst, trinkt, Musik hört, ein Bad nimmt, das Baby tröstet und mit perfektem Timing die Wohnung verlässt ohne etwas mitzunehmen. Auf dem Treppenabsatz begegnet er dem heimkehrenden Ehepaar und grüßt höflich.
Eine Kurzgeschichte von Ephraim Kishon, in der er erzählt, wie er in der Schweiz größte Mühe hat, das Einwickelpapier eines Sandwich loszuwerden, entpuppte sich zwar als verfilmbar, aber wenig unterhaltend. Die Komik war so wenig suggestiv, dass ich während der Vorführung jede Pointe erklären musste. Mir schien, dass nun auch für mich die Stunde des Tonfilms geschlagen hatte. Als junger Radikaler entschied ich mich gegen das verbreitete und praktische Randspurverfahren und wählte das überlegene, aber unglaublich komplizierte Zweibandverfahren, das außerdem erhebliche Investitionen notwendig machte. Meine Konfirmation errettete mich nicht nur in spiritueller Hinsicht, sondern auch in Hinblick auf die Finanzierung der nun notwendigen technischen Aufrüstung.
Mit Ton fühlte ich mich auch längeren Formaten und ernsteren Themen gewachsen und war entschlossen, die Geschichte einer Republikflucht in Szene zu setzen.