12. September
Als wir alles zusammengepackt und für das Zimmer bezahlt haben, klopfen wir an die Tür zum Schlafsaal der Spanier, in dem noch alles ruhig ist, und fordern Carlos und Enrique flüsternd auf, uns in unser Zimmer zu folgen. Dort bekommen sie unsere übriggebliebenen Lebensmittel, und ich gebe Enrique das Geld, das ich für sie beiseite gelegt habe.
Es sind 60 Dollar, die ich in unsere restlichen Afghanis (im Wert von etwa 20 Mark) eingewickelt habe. Die brauchen wir ja nun voraussichtlich nicht mehr – Rolf will den ganzen Tag durchfahren und heute noch die Grenze nach Pakistan überqueren.
„Muchos Gracias,” sagt er und steckt die Scheine in die Hosentasche, ohne sie genauer in Augenschein zu nehmen.
„Das wird bestimmt eine tolle Überraschung,” lächelt Inge, die weiß, wie viele Dollars in dem Bündel versteckt sind.
Das Angebot der Beiden, unser Gepäck zu „Sigis” zu tragen, lehnen wir ab. Wir wollen den Abschied nicht in die Länge ziehen.
Unsere Sachen sind schon im 608 verstaut, und ich stehe rauchend neben dem Wagen, während Rolf und Catherine sich von dem Berliner Pärchen verabschieden, als ich hinter mir laute Stimmen höre, die mir mittlerweile sehr vertraut sind. Carlos und Enrique kommen hüpfend und wild die Arme schwenkend die Straße herunter gerannt.
„Offenbar haben sie inzwischen das Geld gezählt,” raunt Inge mir zu.
Jetzt sind die aufgeregten Spanier bei uns angekommen.
Carlos redet auf Inge ein, und Enrique hält mich an den Oberarmen fest und hält eine Rede auf Spanisch, von der ich aber nur „esta chica es loco” verstehe – diese Frau ist verrückt.
Das wiederholt er auch auf Englisch: „You are crazy, completely crazy!”
Er schüttelt den Kopf, holt tief Luft und sieht mich an, als wolle er mich küssen.
Einerseits hätte ich absolut nichts dagegen – andererseits befürchte ich, dass wir dann vielleicht verhaftet werden… Hier ist es nämlich alles andere als menschenleer. Eine Menge Leute, die meisten davon Einheimische, beobachten interessiert, was sich vor „Sigis Restaurant” abspielt.
Doch das ist offenbar auch Enrique bewusst.
Er lässt seine Arme sinken, und dann zieht er das bunte, gewebte Stirnband aus seinen schwarzen Locken und schlingt es mir um die Hüfte.
„Hasta la vista, lovely Pola,” sagt er leise und tritt dann einen Schritt zurück.
Ich habe einen Kloß im Hals und kann nichts sagen, hebe nur die Hand und steige dann schnell in den Bus.
Rolf beweist Gefühl für gutes Timing und lässt den Motor an. Inge und ich klettern nach hinten auf die große Matratze und winken unseren Freunden zum Abschied zu. Carlos vollführt wilde Luftsprünge, und Enrique wirft uns Kusshände hinterher.
„Die scheinen nett zu sein, eure Spanier,” meint Catherine.
„Ja,” sagt Inge. „Sehr, sehr nett.”
Ich hätte ihn so gern einmal Gitarre spielen gehört.
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