Das Studentenheim, in das ich mich eingemietet hatte, vergab Einzelzimmer nur an höhere Semester, die für ihre Arbeit Ruhe brauchten. Ich wusste also, dass ich mich mit einer Stubengenossin abfinden musste. Aber mein Wunsch, sie möge noch nicht da sein, erfüllte sich. Das Zimmer war noch kahl und unbewohnt. Da war nicht viel mehr als das Nötigste für zwei Menschen unter einer kalkweißen Lampenkugel von Milchglas. Mit müden Händen bezog ich mein Bett und richtete mich in einem der beiden Schränke ein. Jetzt, da ich am Ziel war, wünschte ich mich plötzlich nach Hause zurück. Die Fremde schien mir düster, jetzt, da sich die Abendschatten über Stadt und Straße senkten. Im Einschlafen hörte ich aus einem nahen Fenster jenseits der Straße eine Geige spielen. Das Herz der Stadt schlug in der Nacht lauter als bei Tage. Zum ersten Mal hörte ich es schlagen.
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Die Milchglaskugel an der Decke brannte. Das Zimmer war sehr weiß und sehr hoch bei Licht. Ich sah helles Haar und ein Gesicht, auf das ein Schatten fiel. Eine Stimme entschuldigte sich und wollte weitersprechen. Aber ich konnte aus meinem Traum nicht fort. Bald danach wurde es dunkel.
Müde und zerschlagen erwachte ich am andern Morgen. Unruhe war im Hause gewesen die ganze Nacht, ein Kommen und Gehen im Flur und auf den Treppen, Singen hinter der Wand und Türenschlagen näher und ferner. Als es Morgen wurde, kamen die Geräusche von der Straße herauf durch das offenstehende Fenster.
Milchwagen polterten und die Eimer der Müllabfuhr, Radfahrer klingelten und Stimmen riefen fremde Worte die Straße entlang. Die Luft, die ins Fenster wehte, war beklemmend und fast atemraubend, gewebt aus tausend Gerüchen, wie man sie in großen Städten findet. Aber da war über allem noch ein unerklärlicher Oberton, ähnlich dem Ton der Geige vom Abend zuvor. Trauer — Sehnsucht, Hoffnung.