Die Geister der Moldau — Kapitel 1 Ankunft

Müde dreh­te ich mich auf die ande­re Sei­te, um noch ein Weil­chen wei­ter­zu­schla­fen in die­ser Woge von Duft. Da sah ich das Bett drü­ben, das jetzt bezo­gen war. Weich und wol­kig bausch­te sich die Dau­nen­de­cke über dem Kopf­kis­sen. Von der Schlä­fe­rin sah man nur ein paar locki­ge Haar­sträh­nen, fast so weiß wie das Kis­sen. Im fah­len Mor­gen­licht glänz­ten sie wie Silber.

Über mei­ner Bewe­gung moch­te die Schla­fen­de wach gewor­den sein.

Auch sie dreh­te sich zur andern Sei­te, aber die Lider blie­ben fest geschlos­sen. Das Dau­nen­bett wölb­te sich wie­der bis hoch über ihren Kopf, als müss­te sie dar­in Schutz suchen vor einer unbe­kann­ten Gefahr. Das Gesicht, das sie mir jetzt zukehr­te, war schön, aber etwas Befremd­li­ches lag dar­in, etwas Nixenhaftes.

Eine Baro­nin Scharff-Habe­land aus der Gegend von Ber­lin“, hat­te mir am Abend zuvor Frau Palacek gesagt, die Haus­wir­tin, eine stark­kno­chi­ge, strähn­haa­ri­ge Per­son mit einem Dutt hoch am Kopf und einem Zwi­cker auf der Nase. „Sie wer­den schon mit ihr zurecht­kom­men. Aber kei­ne Her­ren­be­su­che! Das bitt’ ich mir aus!” Und ihr „r” roll­te wie ein klei­ner Donner.

Ich kann­te die­sen Pas­sus. Eine Schul­freun­din hat­te mir das Heim emp­foh­len und mich zugleich mit den Eigen­hei­ten von Frau Palacek ver­traut gemacht. Ehe ich die­ses Haus kann­te, hat­te es sich mir immer dar­ge­stellt als ein Haus, in dem eine Frau mit Kno­ten und Zwi­cker unter die Bet­ten kriecht und die Schrän­ke nach uner­wünsch­tem Her­ren­be­such inspi­ziert, bis es ihr end­lich doch gelingt, im Besen­schrank drau­ßen auf den Flur solch eines scham­lo­sen Ein­dring­lings hab­haft zu wer­den, eines außer­or­dent­lich ver­schüch­ter­ten noch dazu, den die Mäd­chen mehr zum Spaß und um ihn zu ängs­ti­gen, da hin­ein gedrängt hat­ten. Denn für die wis­sen­den und rou­ti­nier­ten Besu­cher gab es eine Aus­flucht nach oben zu, auf den Dach­bo­den, auf die aber Frau Palacek nie ver­fiel. Eben­so ent­ging ihr stets der gel­len­de War­nungs­pfiff, der bei ihrer Ankunft durch das Haus tön­te, und die Tat­sa­che, dass die Küh­nen furcht­los, wenn auch auf Zehen­spit­zen die Trep­pe hin­un­ter­stie­gen, wäh­rend sie in den ers­ten Zim­mern ihrem Schnüff­ler­ge­schäft oblag.

Mich sel­ber beküm­mer­te die Aus­sicht auf sol­che Haus­su­chun­gen wenig. Aber der Gedan­ke, wie Frau Palacek unter das Bett der Baro­nin fah­ren wür­de, um ver­we­ge­ne Lieb­ha­ber zu ertap­pen, mach­te mich lachen. Denn wer sie so schla­fen sah, muss­te es mehr als wahr­schein­lich fin­den, dass sie bald Freun­de haben wür­de. Mit ihnen wür­de sie tan­zen gehen und ins Café, und sicher wür­de ich sie auch hier im Heim zu sehen bekommen.

Noch amü­sier­te mich die­ses flüch­tig gezeich­ne­te Zukunfts­bild, als es sich plötz­lich änder­te. Die Baro­nin schob jetzt den rech­ten Arm vors Gesicht wie zum Schutz gegen mei­ne Bli­cke. Ihre rech­te Hand lag auf der lin­ken Schul­ter, mit­ten in Licht. An ihrem Ring­fin­ger glänz­te ein Ehe­ring, ein brei­ter Gold­reif ohne Stein, nicht in die schma­le­re moder­ne Form gepresst. Er nahm sich merk­wür­dig unbe­hol­fen aus an der schma­len Hand, zu plump und wie ein geborg­tes Requisit.

Vor­her war es mir erschie­nen, als kenn­te ich mei­ne Zim­mer­ge­nos­sin schon fast ganz. Ich mein­te, ich könn­te ihren Kum­mer erra­ten und ihre Freu­den, könn­te vor­aus­se­hen, wie die Mona­te ver­lau­fen wür­den, die sie hier mit mir ver­brin­gen wür­de. Ich glaub­te schon ihre Freun­de zu ken­nen, flat­ter­haf­te und ernst gesinn­te, Stu­den­ten und jun­ge Offi­zie­re. Ihr gan­zes Sein war mir so durch­schau­bar und über­sicht­lich vorgekommen.

Aber jetzt war sie ver­hei­ra­tet. Das mach­te sie plötz­lich wie­der zur Frem­den, zu jenem sche­men­haf­ten Gesicht, das sich in der Nacht gegen mich geneigt hat­te, gänz­lich unbe­kannt, gänz­lich undurch­sich­tig. Wie konn­te man so jung sein und ver­hei­ra­tet ? Wie konn­te man ver­hei­ra­tet sein und sich in ein sol­ches Heim ein­mie­ten, wo Män­ner aus Besen­schrän­ken geholt wurden?

Es gab ver­schie­de­ne Erklä­run­gen dafür. Kriegs­trau­ung, ihr Mann im Feld, sie auf der Suche nach einer Tätig­keit, die ihr das War­ten leich­ter mach­te, stell­te ich mir vor. Aber ich fühl­te, dass da noch etwas ande­res war. Etwas Gequäl­tes war in ihrem Gesicht, etwas Gehetz­tes in ihren Bewe­gun­gen, nicht nur Kum­mer, nicht nur Angst, son­dern ein Gemisch wider­stre­ben­der Gefüh­le. Spä­ter soll­te ich sie bes­ser begreifen.

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